Die Generationen der Stiller


Auf den zerstörerischen Krieg von 1618 – 1648, der weiter nichts als Ruinen, Schutt, Krüppel und Tod hinterlassen hatte, folgte in unserer Heimat eine der fruchtbarsten Perioden der deutschen Baukunst. Es war, als hätte Gott den Menschen für die schlimmen Jahre entschädigen und nach dem Grauen das Schöne zeigen wollen. Aus einer dumpfen Zeit voller Angst wuchsen plötzlich überschäumende Lebensfreude und künstlerische Schönheit. Verbindet sich doch in dieser Zeit die Architektur eines freudig schwingenden, fast entmaterialisierten Gesteins der sakralen Bauten mit dem harmonisch jubilierenden Orgelklang eines Händel.

Der bayerisch schwäbische Barock, herübergeweht aus Oberitalien, zauberte herrliche Kirchen und Bauten bis in das kleinste Dorf. Handwerkliche Fertigkeit der Maurer, Stuckateure und Maler wurden zunftgebunden über Generationen örtlich bewahrt. Sie hatten ihren Ausgangspunkt besonders in Vorarlberg und in Wessobrunn. Hier waren die Sippen der Schmuzer, Feichtmaier und Übelhör ansässig.

Johann oder Matthias Schmuzer scheinen die Lehrherrn des am 5. Oktober 1643 in Wessobrunn geborenen Simon Stiller gewesen zu sein, dessen Vater Matthias Stiller hieß. Simon Stiller war Stuckaturpolier bei Schmuzer und arbeitete hauptsächlich in Augsburg. Er verstarb am 14. Februar 1691 in Wessobrunn.

Um 1685 siedelte sich in Ettringen ein Matthäus Styler an, der »von Bayern« eingewandert war. Er wurde 1660 in Gaispoint bei Wessobrunn als Sohn des Stukkatorpaliers Simon Stiller geboren. Als seinen Lehrherrn dürfen wir den berühmten Johann Schmuzer annehmen, der noch im Kriegsjahre 1642 in Wessobrunn geboren worden war und 1682 als Bau und Gipsmeister an der Kapelle in Siebnach gearbeitet hatte. Wahrscheinlich war Styler bei ihm Geselle oder gar Polier und hatte die Arbeit in Siebnach mit ausgeführt. So läge es nahe, dass er sich als Meister in Ettringen niederließ, vielleicht auch als Konkurrent zu Schmuzer; denn 1691 erhielt er in Augsburg für zwei Jahre das Beisitzerrecht zugesprochen. Sein wichtigster Auftraggeber, Herzog Maximilian Philipp residierte ja im benachbarten Türkheim. Etwa 25 Jahre wirkte Styler in Ettringen und der weiteren Umgebung. lm mittelschwäbischen Raume wurden von ihm mehrere Kirchen renoviert oder besser »ausgestattet«. Styler starb am 7. April 1710 in Ettringen.

In den Jahren 1699 / 1700 arbeitete Styler in der Kirche zu Großaitingen. 1700 in der Pfarrkirche in Bad Wörishofen, 1701 hatte er sich zur Gestaltung der Stuckdecke in der Kirche zu Tussenhausen beworben. Er empfahl sich mit seinem Können in sechs Kirchen, die er ausgegipst, und den vielen Arbeiten, die er für den Bischof von Augsburg durchgeführt hatte. Der Pflegverwalter von Angelberg schien ihm nicht sehr wohlgesonnen zu sein, denn er behauptete, dass man „von Stylers Arbeit nicht das Beste zwischen Wörishofen und ab der Straß höre“. Demgegenüber stellte das Pfleggericht Türkheim fest, Styler habe im Schlosse zu Türkheim, namentlich in den Appartements der gnädigen Frau, die Stuckarbeit zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt, und ordnete an, dass Styler die Kirchendecke in Tussenhausen gipsen solle (1752 reparierte sein Sohn Michael die Decke).

Weitere Arbeiten von Vater Matthäus erfolgten 1694 in Türkheim in der ehemaligen Kapuzinerkirche Mariä Unbefleckte Empfängnis, im Schloss und im Rathaus, in Nassenbeuren, 1703, die Kapelle des Instituts der Englischen Fräulein in Mindelheim, 1705 / 08 in Klimmach, 1707/ 09 in Kirchhaslach, 1708 in Bayerniederhofen, 1702 die barocke Stukkatur in der Landsberger Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt, (Matheis Stiller, Stugadorer von Edtringen), 1707 in Münsterhausen, 1707 in Schnerzhofen, 1708 in Langenneufnach, 1709 in Amberg 1709 / 10 in Memmingen, in der ehemaligen Kreuzherrenkirche St. Peter und Paul, dass als sein Hauptwerk gilt, „in einer nie zuvor erreichten Dichte der Formen“,

Sein Sohn Michael, der nicht in Ettringen geboren, hier aber am 26. Januar 1711 mit einer Anna Katharina Mayr aus Großaitingen getraut wurde – 1700 hatte Vater Styler dort wahrscheinlich mit ihm zusammen gearbeitet – führte das Bau und Stuckateurhandwerk seines Vaters am Orte fort. Auch er wirkte in vielen mittelschwäbischen Kirchen, so z. B. 1709/10 in Bedernau, 1711/12 Erhöhung des Turmes der Pfarrkirche in Ettringen um zwei Geschosse, 1712 in Langerringen, 1716/1723 in Walkertshofen, 1718 / 1719 in Kirch Siebnach, 1715-1720, evtl. in Babenhausen, 1719 in Schwabmühlhausen, 1720 Kapelle der Englischen Fräulein in Mindelheim, 1720 im Dominikanerkloster in Kirchheim, 1720 in Oberroth, 1721 in Reinhartshausen, Friedhofskirche in Babenhausen, 1722 in Langenneufnach, 1722 in der Mindelelheimer Jesuitenkirche, 1722 in Haupeltshofen, 1724 in Balzhausen, 1724 in Oberigling, 1725 evtl. in Hürben, 1724-1727 in Bayersried 1725 in Hiltenfingen, 1727 in Aichen, 1727 / 1730 in Markt Wald, 1727/30 in Mohrenhausen, 1727 evtl. in Niederraunau, 1729 in Klimmach, 1731 / 1732 in Dietershofen, 1732 in Türkheim, 1736 / 1737 in Lamerdingen, 1747/48 im Schloss in Markt Wald, 1758 in Schwabmühlhausen, hier führte er wohl seine beste Arbeit aus.

Diese Aufzählung erhebt kein Anrecht auf Vollständigkeit. Sicherlich wurden in der näheren und weiteren Umgebung noch manche Kirchenbauten von ihm ausgeführt. Wohnhaft war er, jetzt Michael Styller geschrieben, stets in Ettringen. Nachdem am 21. Mai 1723 seine erste Ehefrau gestorben war, schloss er bereits zwei Monate später mit einer Teresia Lang die Ehe. Seine zweite Frau sollte ihn zehn Jahre durchs Leben begleiten. Am 17. Februar 1738 heiratete schließlich der »ehrenhafte Witwer Michael Styller aus Ettringen die ehrenhafte Jungfrau Clara Kupfer aus Angelberg«. Diese drei Ehefrauen schenkten ihm 13 Söhne und drei Töchter. Wie sein Geburtsort im dunkeln liegt, so ist auch die Stätte seiner letzten Ruhe unbekannt.

Seine Söhne, Adam aus erster Ehe, Joseph und Martin aus zweiter Ehe, scheinen das Handwerk ihres Vaters weitergeführt zu haben. Adam erbaute 1746 in Berg die Wendelinskapelle. Mit 46 Jahren starb er im Jahre 1766 an einem bösartigen Fieber. Sein Bruder Joseph fand durch einen Blitzschlag am 12. Juni 1771 am Turm der Lamerdinger Kirche den Tod. Martin, jetzt Stiller geschrieben, erbaute in den Jahren 1785/1787 unsere Ettringer St. Martin Kirche.

Die letzten männlichen Stiller (Franz) starben, 64 Jahre alt, im Jahre 1811 im Hause Stauferstraße 3; Sebastian, ein Maurer, 1803 und Ferdinand 1812 mit 73 Jahren im Hause Siebnacher Straße 22. Andere Zweige der Familie verlieren sich 1807 in Wien und 1827 in Berlin. Der letzte weibliche Spross in Ettringen, eine Margarete Stiller (1844 geboren und ledige Tochter der Theresia Stiller und des ledigen Schäfers Leonhard Knörzer aus Göggingen – 1806/56 -) heiratete 1874 einen Joseph Gleich aus Münsterhausen. Die Nachkommen wohnen heute in der Hochstraße 7. Die Stillers wohnten die längste Zeit in den Anwesen Meisterweg 6 (siehe Bild), welches im Jahre 1979 abgebrochen wurde und in dem kleinen etwas versteckt liegenden Haus Hahnenbichlstraße12. Die Familien Stiller haben somit fast 120 Jahre lang als Planer, Stuckateure und vorwiegend als

Wohnhaus der Stillers

Wohnhaus der Stillers

Kirchenbauer von Ettringen aus ihre geniale Kunstfertigkeit in die nähere und weitere Umgebung getragen.

Der Wessobrunner Zweig der Stiller, soweit sie im alten Handwerk tätig waren, wurde fortgeführt von

Wohnhaus der Stillers

Wohnhaus der Stillers

Anton Stiller, der am 2. Januar 1715 als Sohn eines Georg Stiller getauft wurde und am 9. November 1763 starb. Von Jakob Stiller ist das Geburtsjahr unbekannt, er heiratete am 9. Januar 1747 und starb in Warschau in Gegenwart seines Sohnes Johann Kaspar Stiller. Von ihm ist nur der Hochzeitstag bekannt, es war der 23. Februar 1784. Als Letzter dieses Stammes ist noch der Johann Georg Stiller zu nennen, der am 24. März 1770 geboren wurde und am 8. Oktober 1837 verstarb.

Ein Geschlecht mit reichen Fähigkeiten verlöscht damit. Was hatten sie geschaffen? Wohl waren es keine hervorragenden barocken Kostbarkeiten, aber die Landkirchen, die sie erbaut haben und die sie ausstatteten und ausgipsten, sind kleine Kabinettstücke tüchtiger und schaffensfreudiger Handwerker, sie sind die kleinen Edelsteine in der großen Krone bayerischer sakraler Barockkunst, sie sind die verborgenen Veilchen im bunten Blumengarten architektonischen Gestaltens.

In diesem Zusammenhang dürfen die Bauernschaft und die Tagelöhner nicht vergessen werden, die mit Geld, mit ihren Pferden und Wagen und vor allem mit ihrer Muskelkraft einen kulturellen Aufstieg nach den düsteren Jahren des Dreißigjährigen Krieges ermöglichten, als einen bestechenden Glanzpunkt menschlichen und künstlerischen Könnens zur Ehre Gottes.

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