Die Keltenzeit


Das weite, unbegrenzte Land war jungfräulich, die Natur war rau. Sie verlangte von jedem Menschen einen hohen kämpferischen Einsatz. Die Sterblichkeitsquote lag so hoch, dass sie nur durch eine große Kinderzahl wettgemacht werden konnte. Die tägliche Nahrung musste teils gesucht, teils erjagt werden. Sie bestand aus einfachen Getreidearten oder aus dem rohen Fleisch erlegten Wildes. Eine Vorratswirtschaft gab es noch nicht; denn diese konnte nur in größeren Siedlungen gehalten werden. So vegetierte der frühe Mensch einem Raubtiere ähnlich zwischen Nahrungsüberangebot und Nahrungsmangel.

Mit der wachsenden Erkenntnis, gemeinschaftlich leichter zu existieren, kam zwangsläufig über die Sippe eine Gesellschaftsordnung auf, die die Triebe des ungezügelten Einzelnen bremste und dafür sittliche Gebote aufstellte. Aus dem animalischen Menschen entwickelte sich der sittliche, dessen wohl noch primitiver Verstand und dessen mangelnde Vernunft jedoch schon Einordnung und Angleichung anerkannte: Die Zivilisation und das Gesetz, wenn auch noch sehr primitiv, waren geboren.

So mag sich die Situation dargeboten haben, als die wandernden Kelten in unserer Gegend sich ansiedelten. Die Frage nach ihrer Herkunft und welches der Anlass ihrer Wanderung in dem damals unübersehbaren mitteleuropäischen Raum war, ist bis heute ungeklärt. Vielleicht war es ein sich veränderndes Klima, vielleicht die unterschiedliche Fruchtbarkeit des Bodens, vielleicht die besseren Jagdgründe, oder Vertreibung durch andere Stämme? Wer kann es heute sagen? Auf alle Fälle lösten sie die Kultur der Hallstattzeitmenschen um das Jahr 500 v. Chr. ab.

Doch wir wissen, dass in unserer Gegend der Stamm der Vindelizier siedelte. Er war ein eigener Stamm der Kelten, der die ausgedehnte schwäbisch bayerische Hochebene zwischen Donau und Alpen, Inn und Bodensee bewohnte. Diese Vorfahren waren raue Menschen. Kein Wunder also, dass man all diesen unterschiedlichen Stämmen nachsagt, sie wären unbeherrscht, ungezügelt und grausam gewesen. Erst seit kurzer Zeit wissen wir mehr über das weitverbreitete Volk der Kelten. In der Nähe von Ingolstadt, in Manching, stieß man beim Bau des Flugplatzes auf ein sogenanntes „Oppidum“, eine große vindelizische Siedlung. Sie vermittelt uns ein Bild des Menschen jener Zeit, obgleich es nur ungenau ist. Natürlich haben schon die antiken Schriftsteller über die Vindelizier geschrieben. Sie berichten uns von ihrer großen Statur und enormen Körperstärke. Nun, in Manching waren die ausgegrabenen Skelette lediglich zwischen 1,60 bis 1,70 Meter lang. Wahrscheinlich waren die römischen Betrachter eben von kleinerer Körpergröße, und deshalb sind die Angaben relativ zu bewerten. Weiter erfahren wir, dass diese Menschen eine helle Haut, blaue Augen und rotblondes Haar besessen haben. Das lange Kopfhaar ließen sie teils frei in den Nacken fallen, teils wurde es mit einem kalkigen Brei eingerieben und wie eine steife Hunderute bis zum Rücken hängend getragen. Vielleicht war dies ein Schutz gegen tödliche Nackenhiebe der Feinde, denn die Kelten kämpften barhäuptig und mit freiem Oberkörper. Um die Mundwinkel soll ein zottiger, rötlicher Schnurrbart gehangen haben, der den Gesichtern ein wildes Aussehen verlieh. Selbstverständlich waren sie wild und unbeherrscht. Sie sollen sich ungehemmt dem Wein und Blutrausche hingegeben haben und in Ekstase bei ihren grausamen Riten verfallen sein. Sie lebten ganz dem Augenblicke und hatten eine unbändige Freude am Essen und Trinken und am funkelnden Golde. Im Kampfe waren sie tapfer, aber brutal. Bei ihnen war es Sitte, den erschlagenen Feinden den Kopf abzuschneiden und ihn stolz als Trophäe über dem Eingang der windigen Behausung aufzuhängen. Vielleicht war mit diesem makabren Brauch ein Glaube verbunden, der Glaube, dass der Getötete als Geist nicht mehr erscheinen konnte, da man seinen Kopf besaß, oder man war der Meinung, mit dem Kopfe die Kraft, die Findigkeit und List des getöteten Feindes auf sich selbst zu übertragen. Sie müssen eine gewisse Führungsschicht gewählt haben; denn bei der herrschenden Kaste war es schimpflich, das Feld mit eigenen Händen zu bestellen. Dafür war das einfache Volk da, welches im Aussehen wahrscheinlich nicht dem vorher geschilderten Typus glich. Die Kelten waren mehr Ackerbauern als Viehzüchter und Hirten. Sie bebauten hauptsächlich den schweren und fruchtbaren Lößboden, wie wir ihn am Tannenberg und an der Leite vorfinden. An Getreidearten ernteten sie Gerste, Hirse, Einkorn und Spelt. Aus diesem Grunde bestand ihr Hauptnahrungsmittel aus Brot und Getreidebrei. Daneben hatten die Kelten auch Gemüsegärten angelegt und züchteten Obst. So erinnert unser heutiges Wort Apfel noch an den keltischen Namen »Abal«.

Bekleidet waren diese Menschen mit Hose und einer Art Wams aus Wolle, Leinen oder Leder, an den Füßen trugen sie Holzschuhe, wenn sie nicht barfuss gingen.

In ihrer Frühzeit schufen die Kelten keine eigene Kultur, jedenfalls ist darüber bislang nichts bekannt. Erst später, nach 400 v. Chr., entwickelte sich besonders in Frankreich und Böhmen eine eigene keltische Kultur mit Keramik, deren besonderes Kennzeichen das Ornament war. Diese Stämme kannten die Töpferscheibe und sogar die Münzprägung, sowie die Herstellung von Bronze, die etwa im 2. Jahrhundert v. Chr. aufkam. Deshalb müssen besonders ihre erstklassigen Bronzearbeiten hervorgehoben werden.

Zur Gründung eines eigentlichen keltischen Staates kam es nicht, da das Volk in zahllose Stämme zersplittert war, die jeweils ihren eigenen König wählten. Dieser musste während seiner Regierungszeit »Heil« den Untertanen bringen; dabei war es gleichgültig, ob es sich um »Schlachtenheil«, »Wetterheil« oder »Ernteheil« handelte. Besaß der regierende Herrscher es nicht, so wurde er nach einem Jahre abgesetzt und, um die Götter günstig zu stimmen, meist mit feierlichem Ritus geopfert. Bei anderen Keltenstämmen gab es wohl eine königliche Erbfolge, aber der Regent war machtlos und konnte sich auf keine eigene Streitmacht stützen. Jedoch allgemein regierte eine Gruppe Männer aus angesehenen und tapferen Sippen, wie überhaupt bei diesem Volke die Sippe mehr galt als die Familie.

Trotz ihrer kriegerischen Tätigkeit müssen die Kelten Handel über weite Strecken betrieben haben, da sie Rohstoffe aus verschiedenen Ländern verwendeten. Sie legten dazu schmale, dem Gelände angepasste Wege an, die später teilweise von den Römern benutzt oder gar ausgebaut wurden. Gelegentlich mögen schon schmale Pfade vorhanden gewesen sein, die umherziehende Hirten mit ihren kleinen Herden getreten hatten, wenn sie mit ihrem Vieh zu anderen Weideplätzen gezogen waren.

Die Kelten kannten kaum geschlossene Siedlungen. Uns sind nur wenige sogenannte »Oppida« bekannt. Allgemein siedelten sie gerade dort, wo sie eine ergiebige Quelle fanden und einen fruchtbaren Ackerboden. Für ihre primitiven Behausungen verwendeten sie roh behauenes Holz, welches sie zeltartig aufstellten und die klaffenden Spalten und Fugen mit Lehm verschmierten. Der Grund und Boden wurde zum allgemeinen Nutzen jeweils für eine Reihe von Jahren in Besitz genommen und unter den Sippen zur Bearbeitung aufgeteilt. Der Bebauer wechselte jedes Jahr die Anbaufläche, dadurch blieb stets fruchtbares Land brach liegen. Die Feldarbeit überließen die Krieger den Sklaven und Frauen. Die Einen beschafften eben das Fleisch und die Anderen das Brot. So einfach war das.

Die religiösen Vorstellungen der Kelten sind uns weithin unbekannt. Spätkeltische Kultstätten finden wir zum Beispiel in den Viereckschanzen bei Türkheim und bei Schwabegg, also in unserer nächsten Nachbarschaft.

In früherer Zeit bestatteten diese Siedler ihre Toten. Erst in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten verbrannten sie die Leichen. Meist wurden die Verstorbenen in einfachen Flachgräbern beigesetzt, nur selten unter großen Grabhügeln, die wahrscheinlich nur ihren Anführern zugestanden wurden.

Man schrieb das Jahr 1997 als ein Wanderer im Rechtlerwalde zwischen den Orten Siebnach und Schnerzhofen ein „schwärzlich rostiges Stück Eisen“ im Boden fand, welches sich als ein (PDF) zusammengebogenes Eisenschwert aus einem Einzelbrandgrab identifizieren ließ. Daneben lagen

Keltenschwert

Keltenschwert

noch eine einigermaßen gut erhaltene Lanzenspitze, ein Lanzenschuh und mehrere nicht zu bestimmende kleinere Eisenfragmente. Es liegt nahe, dass in diesem über der flachen Wertachebene gelegenem Grab ein niederer Stammeshäuptling vor etwa 2400 Jahren beigesetzt worden ist. Die kurzen Schwerter, wie man hier eins gefunden hatte, besaßen zu jener Zeit einen Namen. Wenn nun sein Besitzer starb oder getötet wurde, so tötete man ebenso sein Schwert, indem man es um einen Baum wickelte und anschließend flachtrat. Und genauso zeigte sich der interessante Fund nach seiner fachmännischen Präparierung. (Das Schwert ist im Gemeindeamt Ettringen in einer gläsernen Vitrine zu besichtigen.)

Wohl an die 500 Jahre mögen die Vindelizier unser Land besiedelt haben. Wenn wir das mit unserer Zeit vergleichen wollen, so entspricht das einer gleich langen Zeitspanne, wie sie etwa seit der Reformation bis heute vergangen ist. Und wenn wir heute fragen, was hinterließen uns eigentlich die Kelten, was blieb von der 500 jährigen Existenz? So müssen wir enttäuscht antworten: sehr wenig. Einige Worte haben sie hinterlassen, so die Namen unserer Flüsse: Lech, Mindel, Schmutter und Wertach.

Um 400 v. Chr. begannen die Kelten südlich zu ziehen. Sie unternahmen einen massiven kriegerischen Vorstoß, der sie weit nach Italien hinein führte. 387 v. Chr. hielten sie die Stadt Rom besetzt, doch es gelang ihnen nicht, die gut verteidigte Zitadelle und das Kapitol zu erobern. Jetzt setzten die vorzüglich ausgebildeten Römer zum vernichtenden Gegenangriff an und vertrieben die Eindringlinge wieder aus Italien. Diese ließen jedoch, scheinbar angelockt von dem milden Klima nicht locker. Immer wieder drangen vereinzelt Stämme aus dem Voralpenland angriffslustig nach Oberitalien ein und gaben keine Ruhe. Kaiser Augustus (63 v. Chr. ? bis 15 n. Chr.) setzte den gewaltsamen Einfällen zunächst ein Ende, indem er seine beiden Stiefsöhne Drusus und Tiberius mit einem wohlausgerüsteten Heere über die Alpen entsandte um endlich das gewalttätige Vindelizien mit dem Schwert unter römische Botmäßigkeit zu bringen.

Drusus drang höchstwahrscheinlich mit seinem Heer über den Reschenpass und den Fernpass durch das Lechtal in unser Gebiet ein, während sein älterer Bruder Tiberius von Gallien kommend zum Bodensee marschierte und weiter in Richtung Donau. Beide Heere müssen sich im schwäbischen Raume vereinigt haben. Dabei kam es zur letzten und entscheidenden Schlacht, bei der die vindelizischen Krieger vernichtend geschlagen wurden. Der größte Teil der gefangenen jungen Männer wurde nach Italien geführt, wo sie zu römischen Legionären ausgebildet wurden. Über den Austragungsort der folgenschweren Schlacht ist man sich nicht einig.

Drusus und Tiberius waren nun nicht einmal so wie Caesar, sie schrieben nichts nieder und verfassten keine Berichte. Deswegen behaupten die Einen, das Gefecht hätte am 1. August 15 v. Chr. in der Nähe des Bodensees stattgefunden, die Anderen sagen, es wäre auf dem ausgedehnten Terrain des Lechfeldes erfolgt. Wer will es sagen, wenn nicht einmal Bodenfunde in dieser Beziehung einen Hinweis geben?

Wie aber sah es damals in unserer Gegend aus? Wir haben Nachweise der Kelten in Türkheim und in Schwabegg. Von Ettringen haben wir nur einen, deshalb dürfen wir zuversichtlich annehmen, dass sie auch in unserer Gegend gesiedelt haben.

Mit der wohl etwas zu umfangreich geratenen Erörterung der Keltenzeit schließt nun die schriftlose Vorgeschichte, und wir treten im Jahre 15 v. Chr. in die eigentliche Historie unserer Heimat ein. Es ist die interessante Epoche der Römerzeit, und damit beginnt auch unsere christliche Zeitrechnung.

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