Die Zeit der Landnahme


Die herrlichen römischen Villen und Landhäuser waren zerstört worden. Nur noch Gras und Unkraut wuchsen zwischen den Ruinen mit ihren kultivierten Bädern und Mosaiken. Gerade waren die eingedrungenen Alemannen in dem eroberten Gebiet sesshaft geworden, als unvermittelt um 452 n. Chr. Attila mit seinen gelbhäutigen Hunnenscharen wie eine unaufhaltsame Feuersbrunst durch Rätien stürmte und die aufkeimenden Siedlungen verwüstete.

Was war passiert? Der Hunnenkönig Attila war mit seinem flinken Reiterheer nach der empfindlichen Niederlage auf den Katalaunischen Feldern nach Italien gezogen und hatte Norditalien verheert, besonders Aquileia. Hungersnot und auftretende Seuchen zwangen ihn im Jahre 452 zum Rückzug über die Alpen. Wahrscheinlich benutzte ein Teil seines Heeres als Alpenübergang den Fernpass und zog weiter durch unsere Gegend nordwärts entlang der weiten Täler von Lech und Wertach nach Augsburg, welches verwüstet wurde. Bei Donauwörth erreichten die plündernden und sengenden Hunnenscharen wieder die Donau, die ihnen den Weg nach Osten in ihre ferne Heimat Pannonien wies.

Als erster germanischer Herrscher in unserem Gebiete wird König Chunemund genannt, der über Sueven und Alemannen herrschte und ausdrücklich als »dux Suevorum« (Führer der Sueven) bezeichnet wird. Diese bewohnten im späteren 5. Jahrhundert n. Chr. die Vor und Hochalpen des ehemals vindelicischen Rätiens, d. h. die Gegend von Bregenz und Kempten bis zum Lech und zu den »Alpes erectas«. Sueven egg oder Schwabegg scheint der nördlichste Punkt dieses beträchtlichen Herrschaftsgebiets gewesen zu sein. Die Stämme dieses Bereiches wendeten sich jetzt nordwärts und brachen gegen Ende des 5. Jahrhunderts in Franken ein. Sie wurden von Chlodwig I., dem bekannten Frankenkönig, 496 entscheidend geschlagen. Nach dem Siege ließen sich Chlodwig und 3000 Franken zu Reims durch den Bischof Remigius auf den römisch katholischen Glauben taufen.

Vom Ostgotenkönig Theoderich erhielten Sueven und Alemannen Schutz und Wohnsitz in Rätien wie auch Austausch ihres begleitenden und verwahrlosten Viehs gegen die kleinere einheimische Rinderrasse. Theoderich gestattete den Alemannen, zwischen Iller und Lech zu siedeln. Somit haben nach unseren derzeitigen Erkenntnissen alemannische Großfamilien vornehmlich entlang der alten Römerstraßen an Iller und Wertach das Land in Besitz genommen und ihre Urhöfe gegründet. Sie sind die bekannten Keimzellen unserer bayerisch schwäbischen Ingen Siedlungen, zu denen auch unsere Ortschaft Ettringen gehört. Gut können wir auf einer Fahrt von Augsburg nach Süden viele Ingen Orte antreffen, wie Göggingen, Inningen, Bobingen, Wehringen, Aitingen, Mänchingen (Schwabmünchen), Hiltenfingen, Erringen (Langerringen , Westerringen), Lamerdingen und Ettringen. Die Gründer unserer Orte waren Mittelfreie, d. h. sie standen zwischen dem hohen Adel und den Gemeinfreien. Sie waren die Sippenältesten und haben in unserem Falle vermutlich »Authari«, »Oteri« oder »Othar« geheißen, aus dem sich dann im Laufe der Zeit das Wort Oettringen Ettringen gebildet hat.

Nun erhebt sich die spannende Frage, wo ließen sich diese Siedler zuerst nieder? Westlich des Dorfes finden wir heute noch den Flurnamen »Markstettenfeld«. Fälschlich wird davon behauptet, dass hier einmal der »Vorläufer« unseres Dorfes gestanden habe. Es mag sein, dass hier eine den Ortsgründern noch bekannte Wüstung, d. h. eine abgegangene Siedlung, vorhanden gewesen ist, evtl. sogar römischer Herkunft. Meiner Meinung nach aber weist das Gebiet auf eine Mark der alemannischen Siedler hin. Für das Wort »Mark« kann man auch »Grenze«, »Gebiet« oder »Grenzgebiet« setzen, während die Silbe »stetten« mehr auf einen römischen Ursprung hinweist. Also ist anzunehmen, dass sie südöstlich davon sich niedergelassen haben.

Die ersten Siedler nutzten ganz bestimmt das ringsum liegende Gelände Ettringens als Acker, Wiese und Weide. Gegenüber den Nachbarsippen zogen sie Grenzlinien, wenn nicht ein Ödstreifen oder der Wald eine natürliche Grenze bildeten. Diesen umgrenzten Bereich nannte man eine Urmark, die gemeinsam von der Sippe bewirtschaftet wurde. Der eigentliche Kern des Dorfes ist seit der Gründung das Gebiet um den Maierhof, erinnern wir uns noch an den römischen „Major domus.“

Aus der Zeit nach der Landnahme stammt auch der Name »Leite«. In ihm steckt das althochdeutsche Wort »hlia«, welches Abhang, eine sich hinziehende Halde bezeichnet. Die »Leite« ist die langgestreckte, bewaldete Erhebung, die sich westlich der Wertach von Türkheim bis vor Augsburg hinzieht. Auf ihr liegt das kleine Dorf Leuthau, welches seinen Namen aus dem alten Wort bezogen hat.

In der Urmark entstanden Höfe und Sölden. In den letzteren, die die Größe eines achtel Hofes besaßen, wohnten ursprünglich die Unfreien, die Knechte. Späterhin entstanden auch Sölden für Bauernsöhne, die nicht den Hof übernehmen konnten.

Der Bodenbesitz im alten Germanien war genossenschaftlich geregelt. Lediglich das Vieh, die Waffen und die schon erwähnten Knechte gehörten einzelnen. Der Besitz konnte sich ändern. Im Kriege, durch ertragreiche Feldzüge, aber auch beim alltäglichen Würfelspiele konnte man sogar Menschen als Eigentum gewinnen. Manche Freie gaben ihrem Knecht ein Weib und ein eigenes Herdfeuer. Von den Leibeigenen ließen sie sich Ackerteile bewirtschaften und das Vieh hüten. So mögen sich die ersten Vermögensunterschiede gebildet haben. Ein Mensch ließ einen anderen für sich arbeiten. Wie bald entstand daraus giftige Eifersucht, wie schnell kamen nachbarliche Missverständnisse auf wegen der Nutzung von Wald und Weideplätzen! Beleidigte Eitelkeit, herrischer Stolz oder kleinliche Familienzwistigkeiten führten oft genug zu massiven Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Sippen.

Die Natur mit ihren unvorhersehbaren Ereignissen, wie eisigen Hagelstürmen, überraschenden, erntevernichtenden Überschwemmungen, langen Wintern oder ausdörrenden, trockenen Sommern, verlangte vom Menschen Intellekt zur Meisterung all der auftretenden Probleme. War es nicht selbstverständlich, dass die mutigsten, tapfersten, entscheidungsschnellsten und klügsten Männer zu Führern gewählt wurden? Der Mensch, hineingestellt in ein hartes, gnadenloses Dasein, vertraute ängstlich und blind einer Elite. Damit war wohl eine Besitzvergrößerung und zugleich die Unterwerfung anderer Sippen verbunden. So formte sich ein Geschlechtsadel. Die Unterwürfigen hoben Edle oder Fürsten auf den Schild als ihre Führer. Die erworbenen Vorrechte gingen mit der Zeit automatisch auf die Kinder und Enkel über.

Was jedoch blieb den passiven und unselbständigen Besiegten, Schwachen, Kranken oder Entehrten übrig, als bei den Mächtigen Schutz zu suchen? Die handlungsschwache Mehrheit konnte nur gegen Entgelt in Form ihrer Arbeitskraft ihrem Herrn dienen, sie war ihm gänzlich hörig mit ihren Kindern und Enkeln. Aber auch Freigeborene konnten durch Gefangenschaft oder einen leichtfertigen Verlust ihres Eigentums beim gewagten Spiele ihre Freiheit schnell verlieren. Auf diese Weise entstanden zwangsläufig Abhängigkeits- und Dienstverhältnisse, die in ihrer Erträglichkeit sich nach der Strenge oder Milde des jeweiligen Herrn richteten.

Mir erscheint es wichtig, all diese grundlegenden Erörterungen auch in Zusammenhang mit der Geschichte unseres kleines Dorfes zu bringen. Geht es doch nicht nur darum, wie unsere Ortschaft entstanden und gewachsen ist. Im Mittelpunkt steht hier der Einzelne, der Mensch, wie er war, wie er sich im Laufe der ständig sich wechselnden Zeit behauptet hat und was ihn und was er geformt hat.

Man schrieb die Jahre 534 – 536 n. Chr. da zogen die Franken von Burgund unter dem König Theodobert in unser Gebiet, unterwarfen es und machten sich die Bewohner dienstpflichtig.

Natürlich zog auch mit den Franken das Christentum in das heidnische Alemannien. Die Alemannen, die den südwestlichen Raum des heutigen Deutschlands besiedelten und auch in unserer Gegend zu Hause waren, lebten unter der Herrschaft kleiner Gaufürsten. Sie waren hervorgegangen aus dem vorher schon erwähnten Geschlechtsadel. Eine Zentralisierung gab es in diesem bunten Herrschaftsmosaik nicht. Höchstens fanden sich die Männer zu Beute oder Kriegszügen zusammen, wobei sie einen Führer wählten.

In der Religion verehrten die Alemannen das Triumvirat Wodan, Donar und Ziu. Wodan stellten sie sich auf einem Schimmel reitend vor (rechtes Bild). Die christlichen Missionare sahen sich vor die schwierige Aufgabe gestellt den alten heidnischen Glauben durch den christlichen zu ersetzen. Dabei wanden sie einen kleinen, raffinierten Trick an. Sie holten den althergebrachten Wodan vom hohen

Ausschnitte Deckenfresko (St.-Martins-Kirche) mit St. Martin.

Ausschnitte Deckenfresko (St.-Martins-Kirche) mit St. Martin.

Ross und setzten darauf den Heiligen Martin, den Helfer der Armen und wohl auch der Unfreien, den sie im Frankenland verehrten. Ebenso gaben sie ihm die Gans als Begleiterin hinzu – die Martinsgans. Sie gehörte zu den namhaftesten Opfertieren, die die Heiden ihrem Gott Wodan zum Wodansfest Anfang November opferten. So wurde der 11. November zum Martinstag, der in weiten Teilen Deutschlands mit Kinderumzügen gefeiert wird, ist doch der Heilige Martin gleichzeitig auch Schutzpatron der Gastwirte.

Eine andere Deutung erfahren wir aus Tours, wo der heilige Martin in der Krypta der Basilika Saint Martin begraben liegt. Dort erzählt man sich folgende Begebenheit: Martin hielt sich in seiner Höhlen-Einsiedelei von Grand-Moustier (Marmoutier) versteckt.

Ausschnitte Deckenfresko (St.-Martins-Kirche) mit St. Martin.

Ausschnitte Deckenfresko (St.-Martins-Kirche) mit St. Martin.

 Die Christen der dortigen Gegend, die ihn zum Bischof wählen wollten, entdeckten ihn, weil die Gänse vor seiner abgelegenen Einsiedelei heftig zu schnattern begannen, als sie den Lärm der heranrückenden Menschenmenge hörten.

Wenn wir heute in unserer Ettringer Kirche im barocken Deckenbild den forschen Reiter sehen, wie er seinen weiten Mantel mit einem knienden Bettler teilt, dann sollten wir uns erinnern, dass hier ein Übergang vom Heidentum zum Christentum uns bildlich vor Augen geführt wird.

Die „Lex Alemanorum“, erlassen von dem alemannischen Herrscher Chlotar IV. (717 – 719 n. Chr.) und dem Herzog Landfrid I. zeigte bereits christliche Einflüsse. So wurden Eide nicht mehr auf die Waffe, sondern am Altare geschworen. Das Gotteshaus, soweit ein solches schon bestand, wurde geachtete Zufluchtsstätte für weltlich Verfolgte. Die Feldarbeit wurde an Feiertagen unter Strafe gestellt. Das Kirchengut wurde unantastbar. So nahm die Kirche bereits einen erheblichen Einfluss auf das gesamte Leben, einschließlich der Rechtsprechung.(719 n. Chr.) Von den Kirchenbauten der Missionszeit in Alemannien ist nur wenig bekannt. Jedoch wird im 7. Jahrhundert mancher Bekehrte eine kleine Kapelle errichtet haben.

Allmählich machte sich der fränkische Einfluss immer mehr bemerkbar. Allerdings gefiel das den freiheitsliebenden Schwaben überhaupt nicht. Sie versuchten sich aus dem drückenden Joche der Franken zu lösen und sich wieder selbständig zu machen. Es blieb freilich nur bei verschiedenen Versuchen; denn in den Jahren um 730 wurde der herrschende und aufbegehrende Herzog Landfried von Schwaben von dem tapferen Frankenkönig Karl Martell besiegt. Auch 743 verlor Schwabenherzog Theutbald gegen den Franken Pippin den Kleinen auf dem historischen Lechfeld eine entscheidende Schlacht. Drei Jahre später unterlagen abermals die aufsässigen Alemannen bei Cannstatt dem Sohne Karl Martells und dem älteren Bruder Pippins des Kleinen, Karlmann. Es ist nicht verwunderlich, dass den Franken der stetige Drang der Schwaben nach Selbständigkeit auf die Dauer nicht behagte, deshalb schafften sie rigoros die bestehende herzogliche Gewalt über unser heutiges Bayerisch Schwaben ab und gliederten es kurzerhand im Jahre 748 in das riesige Frankenreich endgültig ein.

Damit wurde in unserer Gegend das fränkische Fronhofsystem eingeführt. Zum Mittelpunkt des Dorfes wurde der Herrenhof gemacht mit dem »maior« an der Spitze. In manchen Ortschaften, wie in Siebnach oder Schwabegg, bewohnte der »maior« eine Burg, bei uns den Maierhof (Tussenhauser Straße 2). Beide hatten fast den gleichen Besitz an Ackerland im Anschluss an das Dorf. Es waren für damalige Zeiten große Äcker, die auch »Breiten« (Breitmahd) genannt wurden. Die anderen Bauern hatten nur soweit sie Freie waren einen kleinen und stark parzellierten Grundbesitz an Wiesen (»Brühl« und »Anger«), an Wald und damit an Holzrecht, Jagd und Fischwasser. Die Maier hatten die Aufgabe die gesamte Landwirtschaft und Viehzucht in der Gemarkung zu überwachen, wie auch den Obst und Gemüseanbau. Ebenso mussten sie die Rodungen kontrollieren, sich der Eichelmast bei den in die angrenzenden Wälder getriebenen Schweinen vergewissern und ein ganz besonderes Augenmerk auf das Fischerei und Jagdwesen richten. So waren wohl die einzelnen Bauern dem Maierhof gegenüber abhängig, konnten aber auf der anderen Seite selbständig wirtschaften.

Für Recht und Ordnung sorgte das grundherrliche Recht. Es vertrat »Zwing« und »Bann«, d. h. die Gerichtsbarkeit und das Verbot. So wurde z. B. ein bestimmtes Gebiet für eine besondere Nutzung verboten oder einem eigenen Recht unterstellt. Außerdem gab es das »Ehehaften«. In diesem Falle handelte es sich zumeist um ein begrenztes Rechtsgebiet, welches im allgemeinen dem Maierhofe gehörig war, wie die Mühle, die Taverne oder das örtliche Handwerk, so Schmied, Wagner usw. Überdies kannte man Zehentrechte eine Art Steuer durch Ablieferung von Naturalien und Nutzungsrechte an Weide und Holz.

Rinder und vor allem die wollespendenden Schafe wurden durch Hirten in Pferchen gehalten. Die Schweinemast erfolgte durch die Verfütterung von Eicheln im Eichenwalde (Eichet). Diese Methode der offenen Viehhaltung hielt man bis ins Mittelalter bei. Dabei hausten Mensch und Tier zusammen, um sich im kalten Winter gegenseitig Wärme zu spenden. Pferde hingegen besaßen nur die Edlen und Ritter, sie saßen »auf dem hohen Ross«. Erst in späterer Zeit wurden die Pferde in der Landwirtschaft und beim Transport als Zugtiere verwendet. Das römische Gebrauchspferd war offensichtlich ausgestorben. Man erhob das Ross zum Statussymbol und stufte bis zur Einführung der Zugmaschinen in unserem Jahrzehnt das Ansehen und den Rang eines Bauern nach der Zahl und dem wohlgenährten Aussehen seiner Zugtiere ein. Und was blieb davon übrig? Das Prestige der PS Zahl und des eigenen Reitpferdes.

Bis zum Jahre 1000 n. Chr. haben wir keine schriftlichen Anhaltspunkte über die wenigen Güter, die in Ettringen gestanden haben, wahrscheinlich waren es an die zehn Höfe. Dennoch war oft genug unser Dorf in den farbigen Teppich des großen Geschichtsgeschehens mit hineinverwoben, wenn auch niemals zentral. So mögen die folgenden allgemeinen geschichtlichen Ausführungen ein Bild jener Zeit wiedergeben. Wir erlangen dabei Verständnis für unsere geschichtliche Vergangenheit mit all ihren Fehlern und Erfolgen. Nur aus dieser Erkenntnis heraus lassen sich auch viele Geschehnisse in unserer Gegenwart verstehen, wie sie ebenso wertvolle Hinweise geben mögen zur Bewältigung unserer Zukunft.

Immerhin 150 Jahre konnten sich die rodenden und kultivierenden Siedler eines segensreichen Friedens erfreuen, bis im Jahre 908 die berittenen magyarischen Scharen Alemannien verwüstend durchstreiften. Der umherziehende Kaiser war schwach, er konnte seine Provinzen nicht schützen. Die herrschende Schicht ernannte ehrgeizige und ihr ergebene Männer zu Grafen, die die abgelegenen Gebiete verwalteten. Diese Edlen hoben die Truppen aus, zogen die Abgaben für den Kaiser ein und vertraten ihn oft mehr schlecht als recht als örtliche Richter. Natürlich rafften dabei viele auf Kosten des hart arbeitenden Volkes Reichtümer zusammen und vermehrten ihre Macht durch eine schlagkräftige Truppe. Der Kaiser regierte meist weit entfernt, Nachrichten brauchten lange, und so stand der anmaßenden Selbstherrlichkeit und Selbständigkeit dieser kleinen autoritären Herren nichts im Wege. Für den geleisteten Kriegsdienst im Auftrag des Kaisers, den sie selbst finanzierten, wurden sie unterschiedlich mit Land oder mit Titeln belehnt. Das brachte ihnen eine gewisse Unabhängigkeit von der Krone, zumal sie sich größtenteils eben auf eine ansehnliche eigene Streitmacht stützen konnten.

Dieser Umstand zeugte leider unnahbaren Stolz und trotzige Eigenmächtigkeit. Und da nun einmal Dummheit und Stolz auf einem Holze wachsen, entwickelte sich aus der finanziellen, geografischen und rüstungsmäßigen Handlungsunfähigkeit des Kaisers eine zum Teil diktatorische Tyrannenbrut. Hier liegen die mannigfachen Wurzeln des lehnsherrlichen Deutschland, welches praktisch bis 1870 bestehen sollte. Jeder kleine Fürst, in Anführungsstrichchen, behielt sein Territorium mit all seinen Institutionen eigensinnig und borniert, ohne die geringsten Zugeständnisse an eine vernünftige Gesamtheit zu machen. Jeder Fürst hielt aufwendig Staat in der kleinsten Provinz und bestritt starrsinnig die klar erkennbaren Vorteile eines nur schüchternen Zentralismus. Er untergrub damit als Einzelner die unterschiedlichsten Fähigkeiten eines intelligenten Volkes, welches im Norden von dem Meere, im Süden von den Alpen und im Osten und Westen von einem Schwarm von bösen Neidern begrenzt wurde.

Nur Otto I., der Große genannt, gelang es während seiner Regierungszeit die meisten Herzöge unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Er war es dann auch, der die eingedrungenen Ungarn im Jahre 955 in der denkwürdigen Schlacht auf dem Lechfeld besiegte.

Doch was geschah da im August jenes Jahres nur wenige Kilometer von Ettringen entfernt?

Die wilden Scharen der Ungarn hatten bereits Bayern verheert und ihr Lager zwischen den schützenden Mauern Augsburgs und dem Lech aufgeschlagen. In der bedrängten Stadt hatte Bischof Ulrich die Lehnsmannen des Bistums versammelt. Viel Volk aus der näheren Umgebung wird auf der Flucht hier Schutz gesucht haben. Der Bruder des Bischofs, Graf Dietbald, erreichte am 10. August 955, dem Laurentiustag, morgens das Königslager nördlich von Augsburg und meldete die bedrohliche Lage. Sofort wurden die Panzer angezogen, Sattel und Hufzeug kontrolliert, die Mannen verziehen sich alle Feindschaft und schwuren ihrem Könige und einander Kampfestreue bis in den Tod. Das Königsbanner eingewebt mit dem Erzengel Michael, dem deutschen Schutzpatron wurde entrollt, und der König betete laut zu Ross vor seiner versammelten Heerschar. Es mögen 6000 bis 8000 Mann gewesen sein, die dem Feinde forsch entgegenzogen. Voran ritten drei Haufen Bayern, dann kam der Königshaufen mit Sachsen und Franken, denen Konrad der Rote mit einer frischen Mannschaft ebenfalls aus Franken folgte. Denen schlossen sich zwei Haufen Schwaben an und als Nachhut rumpelte schwerfällig der Tross, den die Böhmen beschützten.

Taktisch geschickt hatten die Ungarn das anmarschierende Heer umgangen und den Tross mit seinen vielen Wagen und die Böhmen, die ihn deckten, im Rücken angegriffen. Das mächtige Ritterheer ließ sich jedoch nicht beirren und zog weiter südlich, wo es schließlich in eine günstige Schlachtposition in der Gegend des jetzigen Königsbrunn gelangte. Die Ungarn wurden in einem blutigen Kampfe geschlagen und zogen sich auf ihren leichten Rössern in ihr Ausgangslager unter den Mauern von Augsburg zurück. Mit frischen Pferden und ihren im Lager zurückgelassenen Weibern flohen sie in südlicher Richtung. Ottos Scharen verfolgten den fliehenden Feind lechaufwärts und trieben ihn den versteckten Kampfgefährten auf der anderen Seite des sommerlich ausgetrockneten Lechs in die Arme.

 

Drei Hufeisen aus verschiedenen Zeiten. Links ein sog. Wellenrandhufeisen,  in der Mitte ein Eisen aus dem Mittelalter, rechts ein heutiges Hufeisen.

Drei Hufeisen aus verschiedenen Zeiten. Links ein sog. Wellenrandhufeisen,
in der Mitte ein Eisen aus dem Mittelalter, rechts ein heutiges Hufeisen.

Ein anderer, kleinerer Teil der Magyaren versank mit seinen kleinen, schnellen Pferden in den Sümpfen zwischen Lech und Wertach. Noch heute entreißt die eiserne Pflugschar manches verrostete Hufeisen einem tausendjährigen Schlafe im Ackerboden. Auch in Ettringen sind an manchen Stellen ebenfalls sog. Hunnenhufeisen gefunden worden. Ähnliche Eisen wurden im römischen Lager von Augsburg Oberhausen ausgegraben und deshalb den Römern zugesprochen.

Wie ist das zu verstehen? Es wird berichtet, dass die Pferde der Römer Sandalen getragen haben, d. h. das Hufeisen wurde nicht angenagelt, sondern angebunden. Diese Hufunterlage soll vorwiegend bei festlichen Anlässen benutzt worden sein, allgemein gingen die Pferde barfuss. Erst im 5. Jahrhundert n. Chr. soll es bei uns Eisen mit Nägeln, sog. »Keltenhufeisen», gegeben haben. Dieser Ausdruck ist volkstümlich und leider irreführend; denn die Pferde der Kelten gingen gleichfalls barfuss. Sehr wahrscheinlich ist der Hufbeschlag mit den eindringenden Hunnen nach Europa gekommen. Dafür sprechen vor allem die versenkten Nagellöcher, die zu jener Zeit nur die Asiaten kannten. Das Nagelloch im Eisen, welches die Nagelkuppe aufnehmen sollte, wurde beim Schmieden auseinandergetrieben und verlieh somit dem Rande des Hufeisens eine Art Wellenlinie; daher werden solche Eisen auch Wellenrandhufeisen genannt. Wegen der Kleinheit des Hunnenpferdhufes haben die Eisen nur sechs Nagellöcher. Später im 9. und 10. Jahrhundert verwendete man allerorts Hufeisen. Dieser Beschlag war sehr grob gearbeitet, hatte einen breiten Zehenteil mit schmalen Schenkelenden, keine versenkten Nagellöcher und mindestens sieben Löcher zur Aufnahme der Nägel. Die Stollen wurden durch eine Anstauchung der Schenkelenden hergestellt. Im Mittelalter zeigten die Eisen einen Zehengriff und eine schräg von innen nach außen abfallende Tragfläche, jedoch jetzt auch vertiefte Nagellöcher. Erst im Ausgang des 19. Jahrhunderts wurden die einzelnen Nagellöcher nicht mehr versenkt, sondern der Nagelkopf wurde von einem Falz aufgenommen, mit dem man auf beiden Schenkeln die Löcher verband.

Diese kurze Geschichte des Hufbeschlags mag zeigen, dass die Hufeisen, die wir heute finden, nicht nur einer Zeitepoche zugeordnet werden dürfen. Eines steht fest. Nur wenige der gefundenen Hufeisen stammen von den kleinen, zähen Pferden der Hunnen oder Ungarn, die in unsere Gegend versprengt worden sind. Die Funde können ebenso von Beutepferden stammen, deren Reiter im Kampfe gefallen waren. Dies trifft besonders für die Eisen aus dem Gennacher Moos zu. Anders scheint es bei denen zu sein, die man am Tannenberg ausgegraben hat. Hier nehme ich an, dass es sich um Hufeisen von Pferden aus dem Dreißigjährigen Kriege und danach handelt. 

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