Die Römerzeit

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Der Vorstoß des berühmten Kaisers Augustus brachte unserer Gegend etwa 15 v. Chr. die römische Herrschaft. Ihr Hauptquartier errichteten die Römer mit zwei Legionen in Augsburg. Die Mannschaftsstärke einer Legion hatte sich innerhalb verschiedener Zeiten des römischen Imperiums verändert. Man nimmt an, dass unter Augustus eine Legion um die 3000 Mann stark gewesen sein wird. In festen Lagern gehörten noch etwa 120 Reiter zur Truppe. Die Legionssoldaten kamen zumeist aus unterschiedlichen und entgegengesetzten Teilen des mächtigen römischen Reiches. Junge Männer wurden oft aus besetzten Gegenden zum Dienst in der Legion befohlen oder zwangsrekrutiert, wie es bei den besiegten Kelten der Fall war. Dies änderte sich auch in den darauffolgenden Jahrhunderten nicht. Auf diesem Wege mag durch christliche Söldner die Religion des Christentums in das heidnische Augsburg gelangt sein, denn hier residierte neben dem römischen Statthalter auch ein Bischof, der ihm gleichgesetzt war. (Hl. Dyonisius, 304 n. Chr.) Das bittere Los der Unterdrückten war, wie zu allen Zeiten sehr hart. Die jungen Männer mussten für die autoritären Sieger in fernen Ländern Kriegsdienst leisten und die Zurückgebliebenen mussten in der Heimat die schweren Steuerlasten tragen, wobei die gnadenlose Besatzung Grund und Boden vorrangig beanspruchte.

In unserer Gegend mögen die eingedrungenen Römer wie schon gesagt teilweise ein einfaches Siedlungswesen mit festen Wohnplätzen und wallartigen Einfriedungen vorgefunden haben, doch man darf nicht annehmen, dass sie an dem gleichen Ort und an der gleichen Stelle ihre Lager aufschlugen. Meist suchten sie sich benachbarte Plätze, um hier nach ihren erprobten Plänen exakt ihre Ortschaften anzulegen. Auch leicht befestigte Wege werden die Römer bei uns schon vorgefunden haben. Es waren die alten Keltenpfade, die gewunden bergauf und bergab, dichtem Walde und sumpfigen Ebenen ausweichend, wahrscheinlich entlang des westlichen Höhenzuges der Wertachleite von Türkheim über Ettringen nach Schwabegg führten.

Zur endgültigen Unterwerfung Vindeliziens benötigten die Römer allerdings feste Standquartiere neben ihren Legionslagern. Somit war der feste Straßenbau vorrangig, er diente der raschen und problemlosen Truppenverschiebung. Ebenso benutzten die Kuriere die neuerbauten Straßen, um wichtige Nachrichten in kürzester Zeit sicher zu überbringen. Das war der Hauptgrund, warum bei den Römern die Ortsverbindungen möglichst geradlinig verliefen, auch wenn sie über steile Berge gebaut werden mussten. Der Straßenkörper bestand nur aus einer guten Kiesschüttung oder, in sumpfigem Gelände, aus einem starken Knüppeldamm. Immerhin waren diese befestigten Heerstraßen so haltbar, dass sie teilweise noch jahrhundertelang benutzt werden konnten.

In den Jahren 46/47 n. Chr. wurde unter Kaiser Claudius das Legionslager Augsburg zur Hauptstadt der Provinz Rätien erhoben, deren Besatzungsgebiet bis nach Südtirol und zum Bodensee reichte. Augsburg erhielt den klangvollen Namen Augusta Vindelicorum. Es war durch zwei bedeutende Verkehrsadern mit dem römischen Mutterlande verbunden. Die bekanntere von den beiden Straßen war die Via Claudia Augusta; sie verlief von Altium bei Venedig durch das Etschtal über den Reschenpass und den Fernpass über Füssen und Epfach nach Augsburg. Zu bedenken ist, dass Schnee und Eis sie von November bis April unpassierbar gemacht haben werden. Nicht viel anders wird es auf der zweiten Länderverbindung ausgesehen haben. Ihre Trasse verlief von Augsburg nach Schwabmünchen, von dort südwestlich über die Wertach nach Schwabegg, wo sie sich in einen westlichen Ast Richtung Scherstetten Kirchheim Kellmünz gabelte und einen südlichen, der über Ettringen – Türkheim – Baisweil (der Meilenstein von dort steht im Römischen Museum in Augsburg) Kempten nach Bregenz am Bodensee führte. Die beschwerlichen Alpenpässe Splügen oder Bernhardino mussten von Bregenz aus in Richtung Oberitalien überquert werden. Der Brennerpass wurde eigentümlicherweise erst in der späten Zeit der Römerherrschaft ausgebaut. Stets bildeten die Alpen eine lästige Barriere zwischen Heimat und Besatzungsland für die Römer.

Die Nebenstraße über Ettringen wurde unter den Kaisern Septimus Severus und Marc Aurel im Jahre 202 n. Chr. teils ausgebessert, teils neu geschüttet und gepflastert. Alle 1000 Schritte wurde ein großer, dicker Stein am Rande dieser Hauptstraße aufgestellt (lat. mille = 1000 Schritte, 1 römische Meile = 1000 Doppelschritte = 1500 m). Das bei Türkheim gelegene Lager »Rostrum Nemaviae« hatte auf der Meilensäule die Aufschrift eingemeißelt: „23 Millia Passuum ab Augusta.“ (ca. 35 km).

Noch ist nicht geklärt, ob in Schwabegg, in seiner Nähe oder in Schwabmünchen die Römer eine kleine Befestigung bzw. Straßenstation besaßen, die sie »Rapis« bezeichneten (im Schwabmünchener Bereiche fanden sich mehrere römische Siedelstellen wie auch eine Töpferei, besonders im Gebiet des heutigen Werkes der Firma Osram). Da hier der Übergang über die reißende, ungezügelte Wertach sich befand, sieben Legionsmarschstunden von Augsburg entfernt, nehme ich an, dass das Wort »Rapis« sich aus dem lateinischen Worte »rapidus« gleich »reißend, ungestüm« herleitet. Andererseits wird »Rapis« gedeutet aus dem lat. »in rapis« gleich »in den Rüben« oder »auf dem Rübenfelde«.

Von diesem Punkte aus lief die Römerstraße südlich nach Türkheim, dem damaligen »Rostrum Nemaviae«. Uns interessiert natürlich, wie der genaue Verlauf des Straßenzuges in unserem heimischen Gebiet verlief. Man kann es nicht anders erwarten: hier gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Die einen vermuten die alte Römerstraße auf der Linie Schwabegg Oberhöfen, Siebnach dabei rechts lassend, bis in die Gegend von Ettringen immer geradlinig verlaufend. Hier soll sie sich eine kurze Strecke nach Westen gewendet haben um die Grabhügelgruppe »in den Markstetten« herum, um dann in gerader Linie etwa dem früheren Postweg folgend nach Türkheim zu verlaufen. Andere vermuten den Straßenzug von Schwabegg nach Höfen und von hier mitten durch Siebnach, etwa der jetzigen Straße nach Ettringen folgend, bis westlich der Kirche verlaufend. Gemeinsam mit der jetzigen Türkheimer Straße soll sie weiter bis ans Südende des Dorfes gegangen sein und dann etwa 2 km parallel rechts zur heutigen Straße sich hingezogen haben. All diese vagen Beschreibungen erscheinen mir unglaubwürdig.

In seinem Aufsatze »Die Römerstraße Rapis Navoe« hat unser ehemaliger Kreisheimatpfleger, Herr Josef Striebel, sich dieses reizvollen Problems besonders angenommen. Er verweist dabei auf einen gut sichtbaren Damm, der etwa an der Eisenbahnlinie Ettringen – Markt Wald, ca. 300 m westlich der Kreisstraße Ettringen – Siebnach in Nord – Süd Richtung verläuft. Der etwa reichlich ein

Hochwasserdamm, errichtet von den frühen Siedlern

Hochwasserdamm, errichtet von den frühen Siedlern

Meter hohe Damm führt dann durch das ehemalige Ettringer Sägewerk, hinter dem Anwesen Tussenhauser Straße 12 vorbei, die Nelkenstraße entlang, wobei ein Feldweg etwa 100 Meter südlich in südwestlicher Richtung abzweigt. Diese dammartige Geländeerhebung ist knapp zwei Kilometer lang in südlicher Richtung gut zu verfolgen. Hier vermutet Herr Striebel die alte Römerstraße. 

 

 

Hochwasserdamm, errichtet von den frühen Siedlern

Hochwasserdamm, errichtet von den frühen Siedlern

Es leuchtet ein, dass man den genauen Verlauf wohl nie mehr exakt nachzeichnen kann. Allerdings ist es für mich schwer vorstellbar, dass die Römerstraße in der Nähe der unberechenbaren, leicht über die Ufer tretenden Wertach verlaufen ist. Ich meine eher, dass sie folgenden Verlauf genommen hat. Meines Erachtens verlief die Trasse vom Goldberg bei Türkheim kommend am „Villis – Acker“ (hier muss eine villa rustica gestanden haben, hier wurden auch Teile eines Mosaikfußbodens gefunden) westlich an Berg vorbei. Von da ging sie weiter am Hang oder auf der Höhe, vielleicht die „Gernhöfe“ streifend, westlich des Ettringer Hofes des allein liegenden Ziegelstadels, (hier befand sich eine römische Ziegelei). Von dort querte sie dieTussenhauser Straße. Dann verlief sie in dem Wald weiter, genannt „zum Strässle“ (alte Flurnamen halten sich über Jahrhunderte hinweg) Richtung alte Ziegelei Siebnach, um unterhalb des Anwesens Kirchsiebnach 9 auf halbem Hang entlang zu führen. Nun verfolgt sie die Richtung westlich der Kirche in Kirch Siebnach v

orbei zum Föhrenberg (wo die alten Eichen stehen) und weiter direkt westlich den Weiler Aletshofen berührend, geradeaus am oder durch das jetzige Anwesen von Kögel Martin Richtung Schwabegg.

Vermutete Römerstraße in Kirchsiebnach

Vermutete Römerstraße in Kirchsiebnach

Was hat es nun aber mit dem gut sichtbaren Damm auf sich, der etwa 300 Meter westlich der Kreisstraße Ettringen – Siebnach verläuft und von dem man fest behauptete, das sei die wirkliche Römerstraße? Vom Flugzeug aus erkennt man gut, dass dieser etwa ein Meter hohe Wall sich südlich und nördlich des Dorfes, jeweils nach etwa einem Kilometer Verlauf sich in der Ebene

Vermutete Römerstraße am Föhrenberg

Vermutete Römerstraße am Föhrenberg

gänzlich verliert und nicht geradlinig, sondern in leichten Bögen verläuft. Er mündet in der Nelkenstraße in die Ortschaft. Hier fand sich beim Kanalbau allerdings keinerlei Hinweis auf eine ehemalige befestigte Straße. Im Gegenteil, die Erhebung bestand aus reinem Humus. Somit ergibt sich nur eine plausible Erklärung für diese Aufschüttung, dass die frühen Siedler einen Damm gegen das überraschende Hochwasser der Wertach zu ihrem Schutze errichteten. Erkennen wir doch auf Luftbildern, dass die Altwasserarme der Wertach bis zur ehemaligen Tankstelle Emil Mayr reichten.

 Ebenso drangen die Altwasserarme des Flusses in Richtung Höfen und Traunried. Alte Traunrieder können sich noch gut erinnern, wie die Wertach bei starken Überschwemmungen ihr Wasser bis an die jetzige Straße Kirch Siebnach – Traunried spülte. Noch heute werden die Wiesen zwischen Höfen und Traunried die „Spiegelwiesen“ genannt, weil dort das Wasser lange stehen blieb und die Oberfläche von der Höhe aus im Sonnenlicht einem Spiegel glich.

Da die Römer erstklassige Straßenbauer waren, werden wohl unsere Vorfahren lange noch die Straßen weiterbenutzt haben, bis neue Ansiedlungen andere Ortsverbindungswege erforderten und damit neue Trassen geschaffen werden mussten.

Über 300 Jahre lang, das entspricht einem Zeitraum zwischen dem 30jährigen Krieg und heute, standen die stolzen Römer diesseits der Alpen in ununterbrochener Bereitschaftsstellung. Germanen und Kelten wurden rekrutiert und zu einer Art Polizeitruppe zusammengestellt. Dabei sattelten die urwüchsigen Germanen von ihren kleinen, zähen Steppenpferdchen auf die stattlichen Rösser der Römer um, die in ihren Gestüten temperamentvolles arabisches Blut eingekreuzt hatten. So brachte uns die römische Besatzung nicht nur einen großen Kulturschatz, einen köstlichen Wein, einen hervorragenden Straßenbau, eine erstklassige Baukunst mit der Technik des Ziegelbrennens, sondern auch das nützliche Gebrauchspferd.

In regelmäßigen Abständen von etwa 20 km bauten die Römer dem Gelände entsprechend ihre festen Hauptlager mit den notwendigen Waffenarsenalen und Quartieren für die Polizei und die Hilfstruppen. So auch bei uns in Türkheim und Schwabegg. Die Entfernung zwischen den beiden Dörfern entsprach etwa einer Tagesmarschleistung einer Truppe mit voller Ausrüstung, Pferd und Wagen. Die Römer hatten durch diese raffinierte Einrichtung eine sehr bewegliche und schlagkräftige Armee, die mit wenig Soldaten ein umfangreiches Gebiet beherrschen konnte; zudem war es ihnen möglich, Nachrichten aller Art schnellstens über große Entfernungen weiterzugeben.

Nach alledem ist es berechtigt zu fragen, ob die Römerstraße der einzige sichtbare Nachlass dieses Volkes in unserer Gegend ist. Nein, im Jahre 1825 entdeckte man in der Ettringer Flur eine bekannte römische Kupfermünze von Konstantin dem Großen aus dem Jahre 337 mit der Einprägung »Gloria Exercitus«. Nach dem letzten Kriege fand jemand unter einem Holzstapel eine Silberdrachme des Mithridates 11. von Parthien (128 – 88 v. Chr.). Die Parther waren ein nordiranischer Volksstamm, der mit Rom Kriege führte. Kaiser Augustus stellte um 20 v. Chr. die römische Macht gegenüber den Parthern in Asien wieder her. Also müssen hier zum Kriegsdienst gepresste Parther fern ihrer Heimat auf Wachtposten gestanden haben.

Einen weiteren bemerkenswerten Fund machte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen dem Ziegelstadel und dem Gebiet der Markstetten. Hier fanden sich 28 quadratische Ziegelplatten etwa einen halben Meter unter dem Boden. Experten waren der Ansicht, es handle sich bei ihnen um Abdeckplatten einer römischen Heizung.

Allgemein bauten die Römer anfangs in unserer Gegend Häuser aus Lehmflechtwerk, später holten sie sich Tuffstein aus der Gegend von Eggenthal, Baisweil und dem oberen Mindeltal für feste Bauten. Die Ziegelbrennereien, die wir bei Ettringen und bei Siebnach gefunden haben, dürften lediglich Dachziegel, Estrichplatten und Tuben (hohle Wandziegel für die Heizungsluft) hergestellt haben.

Der Vollständigkeit halber sei eine ominöse Steinpyramide erwähnt, die in einem Bericht von 1836 in dem Flurstück »Wehr Baind oder Point« (zwischen Bahnhof und Wertach gelegen) gefunden wurde. Sie wird beschrieben als »ein sonderbarer, wie eine kleine abgestumpfte Pyramide gestalteter, vier Fuß hoher, oben 1 1/2 Fuß, unten aber ebenfalls vier Fuß breiter, an der Basis ein Fuß dick mit Ziegelsteinen umpflasterter römischer Markstein … welcher fast drei Fuß in der Erde stak, an seinem oberen Ende aber durchlöchert und ruiniert war. « Der beschriebene Stein ist nicht mehr auffindbar, deshalb kann leider seine Herkunft heute nicht mehr nachgeprüft werden. Es ist anzunehmen, dass der Stein mit einem schlimmen Wertachhochwasser angeschwemmt worden ist, wie eine Eiche, die bei den Kanalarbeiten in der Augsburger Straßegefunden wurde. Der römische Ursprung des Steines sei hier unter großem Vorbehalt genannt.

Wo die Siedlungen unserer von den Römern abhängigen Vorfahren lagen, und die zugleich deren Schutz in Anspruch nahmen, können wir nicht sagen. Auch wissen wir nicht, ob und wo die Römer in oder bei Ettringen gewohnt haben, bis auf die Ziegelreste im Bereiche des Ziegelstadels. Erst Grabungen und Funde könnten hier überzeugende Klarheit bringen.

Immerhin müssen wir uns vorstellen, dass bei einer 300 Jahre langen Besatzungszeit durch die römischen Soldaten, sie mindestens sich über zehn Generationen in diesem Lande aufhielten und damit viele von ihnen sesshaft, ja fast einheimisch wurden.

Im Anfang der Besetzung, bis zu den Jahren um 280 n. Chr., errichteten die Römer, wie schon kurz angedeutet, beim einfachen Zeltlager mit einem umgebenden Wall beginnend, alsbald feste und massive Unterkünfte aus Lehm und Holzfachwerk bis hin zum prächtig ausgestatteten Landhaus, der »Villa Rustica«. Als im 3. Jahrhundert die bewaffneten Alemanneneinfälle stärker wurden und zum Teil die römischen Befestigungen überrannt worden waren, wie es in unserem Raume in den Jahren 233 und 259/60 geschah , sah sich die bedrängte Besatzung gezwungen, ihre Standorte zu verstärken. Einen Beweis dafür finden wir in der spätrömischen Befestigung bei Türkheim.

Da die Eroberer aus dem Süden sich weitgehend selbst versorgen mussten und im Winter vom Heimatlande abgeschnitten waren, errichteten sie sich, wie in Berg, Landhäuser und Domänen, die für germanische Begriffe komfortabel eingerichtet waren. Von hier aus wurden die Kohorten, kleinere militärische Einheiten verpflegt, und der Verwalter eines solchen stattlichen Gutes war der »Major Domus« der Hausvorstand. Diese römische Bezeichnung wurde dann als Titel »Hausmaier« für den Chef der königlichen Vermögensverwaltung unter den Merowingern und Karolingern übernommen, er ist heute noch als weitverbreiteter Familienname in vielen Schreibweisen als Maier bekannt.

Die Römer vermittelten den ungebildeten Einheimischen viele neue Kenntnisse. Ganz besonders führten sie eine bessere Organisation in der Feldbearbeitung ein. Sie sorgten für eine umsichtige Vorratswirtschaft und für Saatreserven. In der Viehzucht bemühten sie sich um bessere und konzentriertere Herdenbildungen, die sie mit guten männlichen Tieren auffrischten. So errichteten sie größere winterfeste Stallungen und Speicher in Form einer weit auseinandergezogenen Ackerbausiedlung. Wenn diese Bauten verfielen, nahm man ihre Steine für den neuen Bau. Die länger dienenden Soldaten waren oft auch als Handwerker wie Schmiede und Wagner oder als Uniformschneider tätig.

Lange Jahre eines segensreichen Friedens brachten Handel und Wandel zwischen Besatzung und Einwohnern. Es wurden landwirtschaftliche gegen Fertigprodukte getauscht, auch wurden schon hie und da Münzen gewechselt. Auf diese Art und Weise blühte unsere Heimat Rätien als römische Provinz auf.

Im Verlauf ihrer Geschichte hatten die Römer ein einfaches und objektives Recht entwickelt, dem gegenüber die Germanen ihr primitives Naturrecht ausübten. Sie kannten keinen Staat, sie lebten in einem Stamm, einer großen Sippe, ein Fiskus oder ein Verwaltungsbeamter war ihnen total unbekannt. Handel und Wandel verlangten natürlich auch ein allgemein gültiges Recht. Dieses lernten allmählich die einfachen Einwohner von den kultivierten Römern. Bisher hatte es nur wenige eminente Verbrechen gegeben, die mit dem sofortigen Tode gesühnt wurden. Bei kleineren Vergehen musste der Täter den Schaden wiedergutmachen. So war es gewesen. Jetzt allerdings kam ein modernes Recht auf und damit leisteten die Römer auch auf diesem Gebiete wertvolle Entwicklungsarbeit. Von den Einheimischen wurden sie nicht Römer, sondern »Walchen« oder »Welsche« genannt.

Ihre Toten äscherten die Römer zumeist ein und begruben sie in der Nähe der Ortschaft beiderseits der Straße, einen Friedhof kannten sie nicht. In Ettringen wurde ein römischer Stein gefunden, der später als Mauerstein für einen Kuhstall Verwendung fand. (Türkheimer Straße 4) Hier handelte es sich wohl um ein Grabmalfundament, das ein Steinmetz bearbeitet haben muss und dessen Herkunft wohl nur römisch sein kann. Waren doch in den Fundamenten von »Rostrum Nemaviae« u. a. auch große Grabmäler befestigt.

Diese für alle Teile segensreiche Blüte und Friedenszeit hielt leider nicht ewig an. Die Rentabilität der römischen Landgüter ging zurück und viele ehemals bebaute Landstriche lagen brach. Im Verlauf der Jahrhunderte vermengte sich germanisches Blut mit dem eingewanderten Romanentum. Hatten doch die Römer viele junge Germanen in ihr Vielvölkerheer angeworben und ausgebildet, sodass gegen Ende des 4. Jahrhunderts sie das schlagkräftige Rückgrat des römischen Heeres bildeten. Damit wechselten der jugendliche Elan, der Tatendrang, die Forschheit, neue Aufgaben mutig anzupacken, von einem Volke, welches im Begriffe war alles dies zu verlieren, auf ein anderes. Die alte bewundernswerte Tatkraft Roms, die vitale Energie eines aufstrebenden Volkes war verwelkt und in seinem lasterhaften Wohlstand verpufft. Seine Dekadenz bewies es in der gleichgültigen Grausamkeit öffentlicher Darbietungen und in seiner Amoral. Seine hohen Steuern schluckten schließlich den kärglichen Besitzstand der Bauern.

Wie überall in der Natur zerstört sich Fallendes und Zerbrechliches ganz allmählich selbst. Ein gravierender Teil des Unheils nahm seinen Ausgang von der Mündung der Weser und der Elbe. Aus diesen Gebieten wanderte der Volksstamm der Alemanen (teils Alemannen geschrieben) den Rhein entlang nach Süden vor. 213 n. Chr. werden sie das erste Mal erwähnt. Ihre Stämme sind vorwiegend suebischer und semnonischer Abstammung gewesen.

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