Ettringen erwacht wieder


Als 1648 zu Osnabrück die Glocken endlich den Frieden einläuteten, war die Bevölkerung von Ettringen so dezimiert, dass im ganzen Jahre nur eine einzige Beerdigung stattfand. Kinder und alte Menschen hatten das furchtbare Hungerjahr nicht ausgehalten. Jedoch auch die schwärzeste Nacht weicht dem Lichte eines neuen Morgens.

Selbst im kleinsten Orte spiegelt sich die Vielfalt alles Lebens, reflektieren sich große Weltgeschichte und kleines Einzelschicksal, ist das Detail in das Gesamte verwoben, und aus aller zerstörerischen Grausamkeit und Verdorbenheit sickert fast unsichtbar der gute Saft, der unser Leben lebenswert macht, spinnt sich der Faden, dessen Ende Gott allwissend in seinen Händen hält.

Immer siegt das Leben, auch in unserem Heimatdorf Ettringen. Schon werden wieder 23 Taufen vom Geistlichen registriert. Unter anderem wird ein Georg Haiss, 16 Jahre alt, als Vater genannt. Die Mutter heißt Agnes Mehlen und wird im Taufregister als Dirne (meretrix) geführt. Sie mag als Marketenderin, wie sie in Scharen die Heere begleiteten, in Ettringen hängengeblieben sein. So war wohl dieses Ereignis eine letzte Nachwehe der entstandenen Unordnung, Gesetzlosigkeit und Verwirrung des Krieges.

Aus den Matrikelbüchern erfahren wir weiter, dass der Stallmeister des Lehnsherrn, ein Georg Christoph von Arzet, in Ettringen, vielleicht in Ostettringen gewohnt hat. Seine Schwester Theresia heiratete 1663 den Schwabegger Vogt Joan Jakob Thurnhuber in dritter Ehe. Seine erste Frau war 1654 hier beerdigt worden. Drei Jahre später hatte Thurnhuber seine zweite Ehe mit der Witwe Barbara Mayr in Ettringen geschlossen. Das war zu der Zeit, als Bartholomäus Kaut Verwalter und Ammann in der Ortschaft war. Er fungierte am 14. April 1669 mit dem Präfekten von Schwabegg, dem »edlen Joan Jacob Thurnhuber« als Trauzeuge in der hiesigen Kirche bei der fast fürstlichen Hochzeit eines Michael Coulon de la Ville, des Kammerherrn von Herzog Maximilian Philipp, und einer

Gedenkstein für Thurnhuber in der St.-Martins-Kirche

Gedenkstein für Thurnhuber in der St.-Martins-Kirche

Antoinette Chinaux de la haute Ville aus Bologna. Es mag wohl die nobelste Hochzeit gewesen sein, die Ettringen je gesehen hat, aber berechtigterweise fragt man sich: Warum heiratete ein solches Paar in dem kleinen Dorfkirchlein? Nun, alles hat mal seinen Grund. Schmunzelnd liest der Chronist allerdings dann auch, dass bereits sechs Tage später in Ettringen ein kleiner Joan Jacobus Coulon (die Vornamen des Taufpaten Thurnhuber) getauft wurde. Hier wird schnell ruchbar, warum ein adliges Paar ohne großes Zeremoniell zur Hochzeit in das bescheidene Ettringen ging. Die Geschichte ist nun mal menschlich, und schätzen wir uns glücklich, dass die kleinen Schönheitsfehler und die privaten Probleme überall einkehren können.

Immer wieder lesen wir in den Kirchenbüchern von Vögten von Schwabegg oder deren Beamten. Sie werden zumeist auf dem Maierhofe gewohnt haben. Welche Rolle dabei das Gut Ostettringen gespielt hat, ist leider nicht ersichtlich. Wir wissen lediglich, dass am 21. November 1682 Maria Anna de Markreitter, Herrin zu »Oster Ettringen«, hier beerdigt wurde. Weiter verraten uns die Kirchenbücher viele Berufe, die teilweise heute ausgestorben sind. Da werden aufgeführt: der Enthäuter, der zugleich Metzger, Wasenmeister und Gerber war, der Töpfer, der Schaf und Kuhhirte, der Weber und natürlich Schmiede, der Zimmermann, Müller, Schuster und Haarschneider, der zugleich das Amt des Baders versah. Auch ein Seifensieder wurde im Jahre 1783 in Ettringen erwähnt.

Zu dieser Zeit herrschte in Europa das Zeitalter des Merkantilismus als Wirtschaftssystem. Die Landesherren benötigten viel Geld und spannten daher das aufstrebende Gewerbe in ihre Dienste ein. Heimische oder auch eingeführte Rohstoffe sollten im Inland zu Produkten verarbeitet werden, die kostenträchtig bei bestehendem Einfuhrverbot im Ausland abgesetzt werden konnten, bzw. errichtete man zum Schutz des heimischen Marktes hohe Zollschranken. Deshalb gründete man Manufakturen, sozusagen Vorläufer unserer Industriebetriebe, in denen gelernte und angelernte Arbeitskräfte im Großen Waren herstellten.

Auch die bayerischen Kurfürsten, zu denen ja die Herrschaft Schwabegg seit 1666 gehörte, machten diesen lukrativen Trend mit. Max III. Joseph errichtete deshalb um 1760 in München Au eine Tuchmanufaktur. In Landshut (Niederbayern) bestand ein Zweigbetrieb, für den in der ehemaligen Herrschaft Schwabegg angeblich 657 Spinnerinnen arbeiteten. Im Jahre 1768 sollen sie etwa 126 Zentner Schafwolle versponnen haben. Aus diesen beeindruckenden Zahlen ist wiederum ersichtlich, dass in unserem Gebiet das Schaf als das wichtigste und nützlichste, wie geeignetste Haustier gehalten wurde. Der Abfall, der bei den Spinnerinnen anfiel soll 43 Personen einen, wenn auch kümmerlichen Lebensunterhalt, durch die Herstellung mannigfacher Strickwaren gewährt haben. Im Jahre 1773 wurde die Manufaktur an eine Wiener Firma verkauft. Sofort wurden die neuen Maßnahmen des Merkantilismus umgesetzt und dadurch waren 60 Wollspinner in Ettringen davon betroffen. Sie durften ihre Ware, wie bisher, nicht mehr nach Memmingen liefern, sondern mussten sie einem bayerischen Spinnmeister übergeben und gegen Barzahlung nach Landshut liefern.

Doch diese Ereignisse führen uns bereits in das 18. Jahrhundert. Festzuhalten ist am Ende dieses Kapitels, dass mit dem Kauf der Grafschaft Schwabegg durch Herzog Maximilian Philipp am 23. September 1666 auch die gesamte Verwaltung an das Kastenamt Türkheim überging. 1682 wurde dann auch ganz Ettringen dorthin grundbar.

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