1950: Zu Fuß auf große Konzertreise

Adele Harmsen schloss Gemüter für die Kultur auf – Englischkurs und Liederabend

Für Adele Harmsen waren Kultur und schöne Künste von jeher so unverzichtbar wie Essen, Trinken und Atmen. Dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, versuchte sie auch ihren Mitmenschen zu vermitteln.
Ihren Reichtum an Wissen, Bildung und Lebensfreude teilte sie großzügig mit anderen. Dafür wurde sie auch mit dem ➡ (PDF) Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten ausgezeichnet.
Die Hamburgerin Adele Harmsen, die während des 2. Weltkrieges mit ihrer Mutter in Ettringen eine neue Heimat fand, ist ausgebildete Kammersängerin, hat Musik- Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie studiert und hat eine starke pädagogische Ader. Was sie weiß und kann, will sie nicht für sich behalten, sondern weitergeben.
Das tat sie ihr Leben lang in Form von Vorträgen, unter anderem an der Ettringer Volkshochschule (siehe Schule), wo sie eine begeisterte Fangemeinde hatte.
Gerne denkt sie an ihre Anfänge in Ettringen zurück. Ihre Talente blieben in dem schwäbischen Dorf nicht lange verborgen, und bald scharte sich ein Kreis interessierter Menschen um sie.
Gemeinsam wurde musiziert  und gesungen, und zusammen mit dem Liederkranz brachte man Operetten ( ➡ „Operetten in Ettringen“ ) auf die Bühne, die heute noch Legende sind.
,,Ich konnte beitragen zum Verständnis geistiger Dinge und die Gemüter für die Kultur aufschließen. Was ich zu geben hatte, fiel auf fruchtbaren Boden“, sagt sie zufrieden.

Essbares statt Eintrittsgeld
Ein kleines Foto aus der Nachkriegszeit wirft ein Schlaglicht auf die damaligen Aktivitäten. Es zeigt Adele Harmsen, ihre Mutter und Heinz Gerny mit einem Bollerwagen voller Koffer am Ettringer Bahnhof, kurz vor dem  Aufbruch zu einer Konzertreise. Zusammen mit der Sopranistin Anni Miller traten sie in Krumbach, Wettenhausen, Burgau und anderen mittelschwäbischen Orten mit Liederabenden auf. Da kein anderes Gefährt zur Verfügung stand, musste eben der Bollerwagen herhalten, was aber der guten Stimmung keinen Abbruch tat. Das Publikum war begeistert von dem kleinen Ensemble.Statt Eintrittsgeldern gab es Lebensmittel.

Bäckermeister Josef Riederer 1990

Bäckermeister Josef Riederer 1990

Ein Teilnehmer des musischen Kreises war auch der vor kurzem verstorbene Bäcker Josef Riederer (Gutschabäck). ,,Er hatte eine wunderschöne Bassstimme“, schwärmt Adele Harmsen. Der Bariton und Geiger Heinz Gerny, der heute (2000) in Heidenheim lebt, hatte sich für seine Arie des Papageno eigens ein Federkleid angefertigt und die selbstgesammelten Federchen in vielen Pastellfarben eingefärbt.
Musizieren war aber nicht das einzige, wozu Adele Harmsen den Anstoß gab. Eines Tages begegneten ihr auf der Straße zwei Bauernmädchen, die schüchtern fragten: ,,Können sie uns Englisch lernen?“ (Man wollte sich schließlich mit den Besatzungssoldaten verständigen können…).
Adele Harmsen besorge sich ein Lehrbuch von einem Maristenschüler, schrieb die wichtigsten Kapitel ab – von Fotokopien konnte sie noch nicht mal träumen – und die Englischstunden konnten beginnen.

Dankbare Schüler
Bald kamen mehr Schüler dazu, und die Stühle wurden knapp. ,,Zwei Jungs“, erinnert sich die alte Dame, ,,brachten Hocker mit und ließen sie gleich da. Die habe ich heute noch.“ Zu Weihnachten besorgten die dankbaren Schüler ein Radio, stellten es heimlich in ihre Wohnung und sorgten dafür, dass die verehrte Lehrerin genau in dem Moment nach Hause kam, als ,,Stille Nacht“ gespielt wurde. Adele Harmsen ist noch heute gerührt, wenn sie daran denkt.
,,Es war“, sag sie,,,eine schwere, aber auch eine schöne Zeit. Die dabei waren, haben es bis heute nicht vergessen.“

Quelle: Mindelheimer Zeitung Juni 2000 – Eva Maria Frieder

                Die Ehrenbürger der Gemeinde Ettringen

 


Aktuell bei Ettringen.info: