Die Staatsstraße und die übrigen Straßen

Blick vom Kirchturm in die Hauptstraße um 1900

Direkt auf der Ecke Siebnacher Straße / Hauptstraße befand sich ein alter Bauernhof, der im Jahre 1957 abgebrochen wurde. An seine Stelle baute man ein Postgebäude, in dem 1964 der Schalter geöffnet wurde. Daneben stand ebenfalls ein landwirtschaftliches Anwesen, welches dem ehemaligen Molkereibesitzer Strauß gehört hatte. Auch dieses Haus wurde in den 60er Jahren abgebrochen, um der Raiffeisenkasse Platz zu machen.

Blick vom Kirchturm 2001

Blick vom Kirchturm 2001

 

Die Raiffeisenkasse war das erste Geldinstitut in Ettringen. Am 29. Januar 1905 fand im »Staimerschen Gasthaus« (Gasthof Adler) die Gründungsversammlung eines Darlehenskassenvereins mit damals 100 Mitgliedern statt, die Bürgermeister Büschl einberufen hatte. Man wählte einen Vorstand und einen Aufsichtsrat, der Rechner wurde Lehrer Anton Müller. Bei ihm oder bei dem jeweiligen Kassierer befand sich die Dienststelle der Kasse. Der damalige Geschäftsanteil betrug 60 Mark. Die Bilanzsumme belief sich im ersten Jahr auf 47.521 Mark, in der Infaltion, im Jahre 1923 auf 132 Billionen Mark. Nach dem zweiten Weltkrieg weitete sich der Geldverkehr spontan aus. Man musste sich um ein neues Gebäude umsehen. Gleichzeitig nahm die Lagerhaltung durch den vermehrten Kunstdünger- und Kraftfutterverbrauch in großem Maße zu. Die Kasse erwarb deshalb das Grundstück Kapellenstraße 1. 

Ortszentrum 1957

Ortszentrum 1957

An dieser Ecke errichtete man in den 60er Jahren eine Tankstelle, die im Jahre 1983 geschlossen wurde. Doch vorher beabsichtigte der Darlehenskassenverein, ein Lagerhaus an der Grenze zum nächsten unterhalb liegenden Grundstück zu bauen. Inzwischen hatte der Müller von Gennach den Bau einer Mühle in der Kapellenstraße 6 begonnen. Da er das Projekt finanziell nicht mehr realisieren konnte, erwarb die Raiffeisenkasse das neue Gebäude im Jahre 1954 und baute es zum Lagerhaus mit zwei Büroräumen um. 1962 fusionierte die Raiffeisenbank Siebnach mit Ettringen. Damit erfuhr das Geschäftsvolumen eine weitere erhebliche Ausweitung. Im Laufe der Zeit wurde auch hier der Kassenraum zu klein und man sah sich genötigt, im Jahre 1968 in der Hauptstraße 9 schließlich die heutige Raiffeisenbank zu erstellen. 

Emil Mayr K.G. und ehemaliges Raiffeisengebäude 1957

Emil Mayr K.G. und ehemaliges Raiffeisengebäude 1957

Mitte 1978 musste der Vorstand seinen Mitgliedern mitteilen, dass durch Wechselbetrügereien die Bank einen Schaden von über zwei Millionen Mark verkraften müsse. Deshalb übernahm nach einer spannenden Generalversammlung im August 1978 die Raiffeisenbank Kirchheim – Mindelheim die Ettringer Geschäftsstelle und schloss damit das bisher eigenständige Geldinstitut.

Gastwirtschaft "Krone" 1920

Gastwirtschaft „Krone“ 1920

Im Jahre 1993 wurde nach einer achtmonatigen Umbauzeit die nunmehrige Filiale mit einer passenden Fassadengestaltung auf den neuesten Stand gebracht. Besonders modernste technische Einrichtungen, wie ein Geldautomat und ein Kontoauszugdrucker, lösten den bisherigen persönlichen Ablauf im Bankgeschäft ab. Im Jahr 2000 entstand nach einer erneuten Fusion die „Genossenschaftsbank Unterallgäu“. Somit konnte die Gesamtbank eine Bilanzsumme von 1,38 Millionen Euro im Jahre 2005 erreichen.

Daneben steht langgestreckt an der Straße die Gastwirtschaft “Krone”. Hier gab es früher nicht nur kühles Bier, hier wurde auch Brot gebacken. 

Damalige Wirtin Josefine Strübel mit Gästen

Damalige Wirtin Josefine Strübel mit Gästen

 Das Backhaus stand im Hof hinter der Gastwirtschaft, wo sich ebenfalls eine überdachte Kegelbahn befand. 1870 schloss die Bäckerei, jedoch die Konzession zur Ausübung des Bäckerhandwerks ruht noch heute auf dem Anwesen. Inzwischen hat der neue Wirt ein Schlachthaus und einen kleinen Verkaufsraum gebaut, wo statt Brot heute Fleisch und Wurst verkauft werden.

Im Jahre 1868 starb der damalige Bäcker und Gastwirt der “Krone”, Egger. Er war der letzte Veteran aus dem napoleonischen Kriege 1805-15. Aus dem Dorfe fielen damals bei den Kämpfen zwei Männer in Österreich, zwei in Frankreich und zehn blieben in Russland. Es sollten nicht die letzten Ettringer sein, die in Russland ihr junges Leben ließen.

 

Gefallene im Napoleonischen Krieg

Gefallene im Napoleonischen Krieg

Vor dem übernächsten Haus, Hauptstraße 15, in dem in den siebziger Jahren ein Textilgeschäft eröffnet wurde, dann eine „Quellefiliale“ und jetzt eine Geschenksboutique und eine Versicherungsagentur, stand bis zum Jahre 1870 ein Ziehbrunnen, an dem die Dorfbewohner ihre Eimer mit Wasser füllten.

Jahre später kamen die gusseisernen Pumpen auf und jeder Hausbesitzer schlug sich seinen eigenen Brunnen. Die eisernen Pumpen waren meist grün angestrichen und gehörten für die damalige Zeit zum üblichen Ortsbild, denn sie standen vor vielen Häusern und Höfen. Der Grundwasserstand lag seinerzeit höher als jetzt, und oft genug stieg das Grundwasser in den Kartoffelkellern hoch, sie waren ja der einzige Keller in den Bauernhäusern und ähnelten mehr einer Grube, als einem Keller. Erst die Regulierung und Senkung des Wertachbettes in den Jahren nach 1830 brachten den Ettringern trockene Füße. Damit trockneten gleichzeitig ebenso viele sumpfige Wiesen aus und die Schafweiden mit ihren sauren Gräsern wandelten sich allmählich in gute Futterflächen um. Der stelzbeinige Storch, der hier bislang reichlich Futter gefunden hatte und jedes Jahr beim Bäcker Lang auf dem Kamin brütete, musste sich anderen feuchten Wiesen zuwenden. Er verließ deshalb unsere Gegend, in der er sich hunderte von Jahren heimisch gefühlt hatte.

Mit dem Sinken des Grundwasserspiegels und aus hygienischen Gründen wurde eine allgemeine Wasserversorgung für das Dorf erforderlich. 1902 fasste man auf dem Gebiet des Weilers Berg mehrere Quellen zusammen und leitete das Wasser in sogenannte Fangschächte. Von hier aus floss es verrohrt zu einer Reserve in der Nähe des Felderhofes, um dann durch eine weitere Rohrleitung sich in das verästelte Ortsnetz zu ergießen. Das ganze Projekt kostete damals 40.000 Mark.

Friedhof und Hauptstraße 1957

Friedhof und Hauptstraße 1957

Etwa 25 Jahre war man mit dem Wasser zufrieden. Jedoch die Ansprüche wuchsen und ganz so sauber und klar war das gewonnene Leitungswasser eben doch nicht. Aus diesem Grunde beschlossen die Gemeindeväter, einen neuen Brunnen – diesmal in der Ortschaft – zu bohren. Er entstand auf dem Grundstück Hochstraße 4. In einer Tiefe von 54 Metern sprudelte gutes Wasser hervor und vor allem in ausreichender Menge. Dieses Wasser pumpte man nun durch das Ortsnetz zur alten Reserve am Felderhof. Im Jahre 1954 wurde das gesamte Ortsnetz ausgebessert, besonders die Hausanschlüsse, da der Wasserverlust durch schadhafte Rohre bald über 25% ging. Außerdem schloss man die Ostsiedlung an die Ortsleitung an.

In den Jahren 1962/63 musste die Versorgung unserer Ortschaft mit Wasser gänzlich erneuert werden, da man fürchtete, dass durch ausgebrachte Gülle eine totale Verschmutzung des Trinkwassers eintreten könne. Und prompt passierte es, als plötzlich infolge einsetzender Schneeschmelze sich Gülle mit dem Brunnenwasser mischte. Zum guten Glück zu einem Zeitpunkt, als der neue Brunnen bereits fertiggestellt war.

Der neue Brunnen wurde oberhalb des Dorfes neben der Bahnlinie 48 m tief gebohrt. Dessen Wasser pumpte man wieder durch das Ortsnetz in alter Manier zu einem neuen Hochbehälter, der westlich von Berg auf der Höhe steht. Damit erhöhte sich der Wasserdruck im Orte um einige atü. Die Folgen blieben nicht aus. Durch den wesentlich erhöhten Druck erfolgte ein Wasserrohrbruch nach dem anderen. Diese ließen den Bürgermeister und seine Gemeinderäte nicht mehr zur Ruhe kommen. Nach einem halben Jahr waren schließlich alle schadhaften Stellen beseitigt, und der Hochbehälter füllte sich endlich.

Leider ging die Ergiebigkeit des Brunnens zurück, so dass 1973/74 weiter westlich ein neuer Brunnen geschlagen werden musste. Er spendet heute bei einer Tiefe von 18 Metern 18 Liter Wasser pro Sekunde für das gesamte Dorf. Selbst in dem heißen und trockenen Sommer 1976 sank der Wasserspiegel im Brunnen kaum. Dennoch belasteten die vielen Neubauten in den aufstrebenden Siedlungsgebieten den notwendigen Wasserbedarf.

Nach vielen Jahren, unendlicher zahlreicher Diskussionen und massiver Nitratprobleme kam für Ettringen ein fast historischer Tag. Am 4.12.2001 konnte zum guten Schluss die sanierte eigene Wasserversorgung mit einer Zufuhr von Staudenwasser in Betrieb genommen werden. Dieses kommt vom Wasserzählerschacht an der Wertachbrücke bei Siebnach, fließt dann insgesamt in einer 7,7 Kilometer langen Leitung mit einem Durchmesser von 22,5 Zentimeter zunächst an der Wertach entlang, unterquert die Staatstraße bei der Ettringer Wertachbrücke und biegt nördlich des Oberen Wehrs zum südlichen Ortsausgang zu dem Überhebepumpwerk, wo die Mischung des Staudenwassers mit dem Wasser aus dem Ettringer Hochbehälter nahe Berg stattfindet, um von hier in das Ortsnetz eingespeist zu werden. Dabei wird die Brunnenpumpe – in Abhängigkeit vom Pegelstand im Hochbehälter und vom Tages- beziehungsweise Nachtbedarf – von einer zentralen Stelle aus vollautomatisch gesteuert und überwacht. Die Zentrale wurde im Bauhof eingerichtet. Die Kosten dafür betrugen 1,65 Mio. DM.
Schließlich wurden im Jahr 2003 im gesamten Innerortsbereich neue Wasserrohre verlegt, um den ständigen hohen Wasserverlust abzustellen, der infolge von Brüchen alter verrosteter Rohrleitungen immer wieder erfolgte.

In diesem Zusammenhang sei eine andere Leitung nicht vergessen, die unter Ettringer Straßen verlegt ist. Es ist die Ferngasleitung Augsburg-Kaufbeuren. Sie verläuft unter der Siebnacher Straße entlang, quert die Hauptstraße in Richtung Süden und verlässt die Ortschaft im Verlaufe der Wettenstraße. Ihre Verlegung erfolgte im Jahre 1952.

Durch sie wurde zunächst noch Stadtgas von Augsburg nach Kaufbeuren befördert. Ab 1975/76 speiste man dann Importgas in die Leitung ein. Im Jahre 1993 entschloss sich endlich die Gemeinde einen Gasversorgungsvertrag mit „Erdgas Schwaben“ abzuschließen und legte dabei als Übergabestationen das Verwaltungsgebäude, den Kindergarten und die Schule mit Sportzentrum fest. Auf die Gemeinde kamen dadurch 60.000 DM Kosten zu.

Doch gehen wir weiter auf unserem Wege die Hauptstraße entlang. Er führt uns am Haus Nummer 17 vorbei. Hier stand das Austragshaus des Posthalters, der in der Hauptstraße 8 seinen Hof besaß. In diesem Hause hatte nach dem letzten Kriege die bayerische Landpolizei ihre Station für

Chef der Polizeiinspektion Herr Ludwig Vogt, Vater von Hermine Mühlbauer, Schwiegervater von Roland Mühlbauer

Chef der Polizeiinspektion Herr Ludwig Vogt

Polizeistation Hauptstraße 17, später Praxis Dr. Wolf

Polizeistation Hauptstraße 17, später Praxis Dr. Wolf

das Gebiet Ettringen-Siebnach-Traunried. Zwei Polizisten versahen ihren Dienst zu Fuß oder mit dem Fahrrad. In diesem Hause befand sich auch eine Arrestzelle, die zuvor im Keller des früheren Kindergartens („Gelbes Haus“) untergebracht war. Welcher alte Ettringer erinnert sich nicht noch gern der beiden Beamten, die in ihren blauen Uniformen fast zum Ortsbild gehörten, wenn sie abends in amtlicher Ausübung die Gastwirtschaften betraten und die Sperrstunde mit einem scharfen Blick auf die vollen Biergläser anmahnten? 

Als die Station 1959 aufgelöst wurde, zog sich damit ein staatlicher Partner in die Anonymität zurück und ein Stück alter bayerischer Gemütlichkeit, Urwüchsigkeit und Konzilianz ging damit verloren. Im Jahre 1959 kaufte der Arzt Dr. Wolf das Haus und eröffnete darin eine Praxis.

In der rechtwinkligen Kurve der Staatsstraße lag, wie schon früher erwähnt, die „Kreuzschmiede“ in der Hauptstraße 19, bis sie 1889 schräg gegenüber in die Hauptstraße 14 verlegt wurde. Hier arbeitete bis in die sechziger Jahre Schmiedemeister Zech mit seinem Sohn. Neben der Werkstatt stand ein Schleifstein, der nach altem Recht von allen Bauern des Dorfes unentgeltlich benutzt werden durfte. Späterhin diente die Schmiede viele Jahre bis 2002 als Getränkemarkt.

In der ehemaligen Kreuzschmiede eröffneten im Jahre 1925 in einer kleinen Stube die Geschwister Sirch einen Gemischtwarenladen. Das Geschäft ging im Jahre 1939 an Josef Kerler über, dessen Frau die Nichte der Sirchs war. Sie bauten den kleinen Laden aus. 

Hauptstraße mit Blick auf das Café Luipold, die "Schlosser Liesl" und Kerler Alfons ( ehemalige Kreuzschmiede) 1957

Hauptstraße mit Blick auf das Café Luipold, die „Schlosser Liesl“
und Kerler Alfons ( ehemalige Kreuzschmiede) 1957

Deren Sohn erweiterte 1987 das Geschäft, indem er den Kiosk Augsburger Straße Ecke Watzmannstraße (Augsburger Straße 4) pachtete. Nach zehnjähriger Leitung übernahm das Geschäft ein neuer Pächter, der es im Jahr 2002 einem Getränkemarkt übergab. Der Laden wurde bereits 1949 von Klemens Weber gegründet und von seinem Sohn Rudolf als Verpächter weitergeführt. Das Geschäft in der Hauptstraße 19 verlegte sich im Jahre 1999 hauptsächlich auf den Verkauf von Bio – Produkten. Außerdem etablierte sich im Hause im Jahre 2003 eine Praxis für Ernährungsberatung.

Im Hause Hauptstraße 21 hatte man um 1880 mit der Brotbäckerei angefangen. Später erweiterte man den Laden zu einem Haushaltsgeschäft, in dem die Inhaberin, im Dorf die „Schlosser Liesl“ genannt, alles anbot, was ein Dörfler gebrauchen konnte, von der Kuhkette bis zur Kaffeetasse und vom Schulheft bis zur Faschingskappe hielt sie alles – manchmal auch nach längerem Suchen, bereit. Wie schon erwähnt übernahm nach Schließung des Postamtes das Geschäft die Postfiliale. Am 1.9.2001 reduzierte die jetzige Inhaberin ihr Angebot und führte nur noch die Bäckerei weiter, um im Jahre 2003 das Geschäft wieder als Geschenkboutique zu nutzen.

Früher hatten ja die meisten Häuser ihre eigenen kleinen Backhäuschen im Hofe stehen, wo sie wöchentlich ihre Brote backten. Der Vorbesitzer der Bäckerei ist ein Schneidermeister gewesen, der mit Kleidern und Anzügen über die Dörfer fuhr, sie den Leuten zum Kaufe anbot oder auch Maß nahm, er ging auf die “Stör”, wie man seinerzeit sagte.

„Der gaut auf d`Stör“, war früher ein oft zu hörender Hinweis auf die auswärtige Tätigkeit eines Handwerkers oder einer Näherin ( „d`Nähra“ ). Der Betreffende zog mit seinem Können und seinem Handwerkszeug in fremde Orte und Häuser, meist gegen Kost und Lohn, um seine Dienstleistungen anzubieten. Dazu gehörten Schuster (das erforderliche Leder hatte der Auftraggeber zu beschaffen und bereitzulegen), der Sattler,
der Glaser, der auf dem Rücken seine „Budda“ trug, eine Art Tragkorb, der Mühlenbauer, dessen regionaler Radius sehr weit reichte, der Bader, der zum Haarschneiden und zum Rasieren kam, der Gärtner, der Pflanzen und Samen anbot, die Hausmetzger, dann natürlich die Scheren- und Messerschleifer, Sägenfeiler, Kessel- und Pfannenflicker, Siebmacher, Regendachflicker, Weidenkorbflechter und endlich noch die Ferkel- und Klauenschneider. Natürlich waren sie diejenigen die besonders alle Neuigkeiten von Ort zu Ort verbreiteten.
Früher schlachtete man bis um die Jahre 1970/80 herum bei jedem Bauern und auch bei anderen Familien besonders vor Weihnachten, sonst hauptsächlich während des Winters ein oder zweimal ein Schwein. Meist wurde die Sau in Stadel getötet, gebrüht, an den Hinterbeinen aufgehängt und ausgenommen. Im Kochkessel wurde das Kesselfleisch gar gekocht, in der Küche die Sau zerteilt und auf dem Herd der Speck ausgelassen.
Der Arbeitstag der Störnäherin betrug in der Regel 12 Stunden. Sie hatte ihre Nähmaschine (entweder eine einfache Handmaschine oder eine mechanische Zick-Zack-Nähmaschine mit Fußtritt) dabei und verdiente am Tag 1,50 Mark plus Essen und evtl. Übernachtung. Im Winter musste sie oft in der guten Stube arbeiten, in der kein Ofen angeheizt wurde und in der meist die Blumenstöcke zum Überwintern auf dem Boden oder dem Tisch standen. Das gute G`wand wurde stets geschont und war kein Wegwerfartikel; denn die Frauen trugen es ein Leben lang, ja unter Abnähern war so viel Stoffreserve versteckt, dass es in der Schwangerschaft mitwachsen konnte. Und wenn es nach jahrzehntelangem Gebrauch immer noch ansehnlich war, wurde es vererbt. Die Arbeitskleidung hatte natürlich den größten Verschleiß und hier musste die „Nähra“ hauptsächlich Flicken einsetzen, Löcher stopfen. Hosen und Röcke weiter machen oder Knöpfe annähen.

Im Hause Hauptstraße 23 begann man im August 1948, in der guten Stube, im jetzige Nebenzimmer Bier auszuschenken. 1959 brannten der Stadel und die Stallung bis auf die Grundmauern ab, wie auch der Dachstuhl des Wohnhauses. Jetzt baute der Besitzer das gesamte Gebäude für Gastwirtschaft und Übernachtung aus, wie wir es heute vorfinden und nannten es “Cafe Luipold”. Das nächste Haus auf dieser Seite, Hauptstraße 25 war bis 1964 landwirtschaftliches Anwesen. Zwei Jahre vorher errichtete der Sohn im Hof eine große Halle und eröffnete da eine Kraftfahrzeugwerkstatt, die er in den neunziger Jahren in das Gewerbegebiet nach Türkheim verlagerte. Dieser Hof beherbergte vor über 150 Jahren bereits einen, wie man damals sagte, Krämerladen. Nach dem Tod des alten Besitzers und dem Wegzug des Sohnes mietete die Wohnung ein Schneider an, der besonders kaputte Kleidung wieder flickte.

Im darauffolgenden Hause, Hauptstraße 27, wohnte in früheren Jahren ein gewisser Alois Schreiber, der über 90 Jahre alt wurde und aus diesem Grunde zweimal als Apostel bei der Fußwaschung am Gründonnerstag in der königlichen Residenz teilnahm. Sein Bruder war ein Dorforiginal, der blinde Barthl genannt. Er war von Geburt an blind, und da er nichts verdienen konnte, erbaute ihm die Gemeinde aus seinem Privatvermögen ein kleines Häuschen. Wahrscheinlich war es das, welches an der Gabelung Hahnenbichlstraße / Hochstraße lag und inzwischen abgebrochen worden ist. Der damaligen Armenpflege entsprechend, ging Barthl jeden Tag in ein anderes Haus zum Essen. Mit Violinenspiel verdiente er sich beim Tanz ein wenig Geld. Als er um 1860 starb, fiel das Häuschen an die Gemeinde für die erwiesenen Unterstützungsleistungen zurück. Im Hause Hauptstraße 29 arbeitete bis zum Jahre 1988 ein Schuhmacher, der auch einen Schuhhandel betrieb.

Vor den Jahren um 1870 hörte der eigentliche Ort Ettringen am jetzigen Bahnübergang auf. Das letzte Haus auf der linken Seite war das Grundstück Hauptstraße 41 Es gehörte den Maurermeistern Mayr. 

Bauunternehmen Emil Mayr K.G. 1957

Bauunternehmen Emil Mayr K.G. 1957

Sie werden schon 1813 als Maurermeister in den Kirchenbüchern erwähnt. Ihre Grundstücke lagen im Gebiet der jetzigen Augsburger und Kapellenstraße, wohin sieauch später im Jahre 1921 übersiedelten. In dem väterlichen Haus fing 1937 die Stiefschwester von Emil Mayr eine Metzgerei an, die auch heute noch nach verschiedenen Besitzwechseln existiert.

Unter seiner Leitung entwickelte sich seit 1925 das Baugeschäft aus kleinsten Anfängen zu einem ansehnlichen und wohlrenommierten Bauunternehmen. Unter dem damaligen Chef Helmut Mayr wurde die Produktion von Fertigbauteilen und die Herstellung von Bimssteinen im neuen Werk am Ende der Kapellenstraße1975 aufgenommen. Dort beschäftigte das Werk über 150 Arbeiter. Aus der Maurermeisterfamilie Mayr sind noch zwei Baugeschäfte in Ettringen hervorgegangen. So kann man sagen, dass mit dem Verlöschen der Gipser- und Maurergeneration der Stiller die Maurergeneration der Mayr diese alte Zunft hier am Ort mit Erfolg fortgesetzt hat.

Im Frühjahr 1982 wurde die Firma Emil Mayr K.G. in der Kapellenstraße 5 an die Baugesellschaft Radmer Bau und Beton in München verkauft. Die bisherigen Inhaber schieden aus der Geschäftsleitung aus und die rund 100 Mitarbeiter wurden von der Münchner Firma übernommen. Das Baugeschäft wurde als regionale Niederlassung weitergeführt, mit einem Aufgabenbereich für allgemeinen Hochbau, Kanal- und Kabelbau, Betonfertigteile und eine Schreinerei.

Sechs Jahre später ging das Werk an der Straße zum jetzigen Wertstoffhof an die Firma für Maschinen- und Steuerungsbau für Holz-Industrie-Technik, kurz H.I.T. genannt über. Hier etablierte sich ein Werk mit 50 Mitarbeitern welche riesige Fertigungsanlagen nach Österreich, Italien, Schweiz und Frankreich liefern, die sie auf einer 2500 Quadratmeter großen Produktionsfläche fertigen. (Fertigungsstraßen für Sägewerke, Holzweiterverarbeitungsbetriebe, Fertighausbau).

Am Ende dieser Straße befindet sich rechterhand der Wertstoffhof, wie schon kurz erwähnt, der am 1.7.1992 seiner Bestimmung übergeben wurde. Hier werden in einer größeren aus Holz erbauten Halle alle wieder verwertbaren Dinge in verschiedenen Sammelbehältern getrennt entgegengenommen. Recyclingfirmen holen die unterschiedlichen, im Abfall gelandeten Artikel ab, vom Fernsehapparat über die Glasflasche oder Zeitung bis hin zum Styropor.

Daneben wurde am 14. Mai 1993 die gemeinsame Kläranlage der Gemeinde Ettringen eingeweiht, die bereits im November 1992 in Betrieb ging. Sie war der dickste finanzielle Brocken, den das Dorf verdauen musste. Die gesamte Abwasseranlage, d.h. Ortskanäle, Regenüberlaufbecken, Pumpstationen und Kläranlage kosteten 23.596.000 DM, wobei der Staat 75% der zuwendungsfähigen Kosten übernahm.

Bereits im Jahr 1962 hatte man mit den Beratungen über die Abwasserentsorgung unserer Ortschaft begonnen. In den siebziger Jahren geisterte sogar der Plan einer Riesen – Kläranlage unter Einbezug von Türkheim, Fa. Salamander, Wiedergeltingen und Fa. Lang. durch die Sitzungsräume der betreffenden Gemeinden. Auch ein Vakuumsystem wurde heftig diskutiert. Gott sei Dank ließ man diese irrigen Pläne fallen. Wie viel Meinungen und Ansichten treffen bei solchen stundenlangen Beratungen aufeinander! Schließlich geht es um die beste Effektivität des Objekts und besonders um das liebe Geld, auch um das der Gemeinderäte und des Bürgermeisters.

Nun nach vielen intensiven Gesprächen und Verhandlungen begann man im September 1984 mit der Kanalisation in der Ost – Siedlung und im Juni 1991 mit dem Bau der Kläranlage, der an örtliche Firmen vergeben wurde. Fünf lange Jahre plagten sich die Ettringer Bürger mit Straßensperrungen oder Verengungen, mit Krach und Dreck, bis das letzte Rohr endlich unter der Straßendecke verschwunden war. 16 Kilometer Abwasserkanal und drei Regenrückhalte-Einrichtungen mussten vergraben, bzw. gebaut werden. Mit drei verschiedenen technischen Varianten wird das Schmutzwasser im sogenannten „modifizierten Mischsystem“ in den Ber

Kläranlage

Kläranlage

eichen Ost, Mitte und West gesammelt und abgeleitet. Bei diesem System werden nicht nur die typischen Schmutzwässer, also aus Haushalten und Betrieben aufgenommen, sondern auch das Regenwasser von Straßen und Hofflächen. Das saubere Niederschlagswasser der Dachflächen wird dagegen ohne weitere Klärung versickert.

 

Die Kläranlage wurde für häusliches und gewerbliches Abwasser für 6000 Einwohnergleichwerte konzipiert. Sie kann bei Regenwetter täglich bis zu 6000 Kubikmeter Mischwasser behandeln, was einem Zufluss von 70 l/s entspricht. In der Kläranlage wird das Abwasser über Feinrechen, belüfteten Sand- und Fettfang, Belebungs- und Nachklärbecken gereinigt. Das Belebungsbecken weist ein Volumen von 2230 Kubikmeter, das Nachklärbecken ein Volumen von 1310 Kubikmeter bei einem Durchmesser von 20 Metern auf. 

Kläranlage und Wertstoffhof

Kläranlage und Wertstoffhof

Je nach Anfall muss ein Teil des abgesetzten Schlammes in einen Schlammstapelbehälter gepumpt werden. Die Weiterbehandlung erfordert eine nochmalige Belüftung und eine gänzliche Entwässerung, um letztendlich den restlichen Schlamm auf einer Hausmülldeponie zu lagern.

Wenn wir jetzt in die Kapellenstraße zurückgehen, befindet sich auf der linken Seite in der Nummer 12 eine Werkstatt für Karosseriebau und Autolackiererei über die schon unter dem Kapitel Kalkbrenner berichtet worden ist. Der Großvater des jetzigen Besitzers eröffnete in dem alten Haus im Jahre 1913 eine Malerwerkstatt, aus der dann sein Sohn sie zu einer Autolackierei erweiterte und dessen Sohn und jetziger Inhaber noch eine Karosseriewerkstatt anhängte. Rechterhand erstreckt sich die schon erwähnte Gärtnerei, die nach dem Krieg in der Kapellenstraße 19 das erste Gewächshaus aufstellte und 1999 im nebenliegenden Grundstück einen Verkaufsraum für Schnittblumen und Topfpflanzen einrichtete.

In den sechziger Jahren baute Anton Geiger, der in der Alpenstraße 6 eine Schuhmacherei betrieb, seine Frau war viele Jahre lang Hebamme in Ettringen, in der Kapellenstraße 1 eine sogenannte „Freie Tankstelle“, nachdem er das zugehörige Haus gekauft hatte. Im Jahr 1983 wurde der Spritverkauf eingestellt und bald danach wurden die Tanksäulen und das Gebäude wieder entfernt, wie schon an anderer Stelle erwähnt.

Papierfabrik, Säge und die Baugeschäfte waren es, die die Basis für weitere Unternehmen schufen. Sie siedelten sich hier an und ließen Ettringen zu einem gewissen Zentrum auf wirtschaftlichem Gebiet aufblühen. Hier liegt auch die sprunghafte Ausdehnung der Ortschaft begründet. 1927 wurde das erste Haus in der Ost-Siedlung erbaut, dem bald nach und nach weitere folgten. Die Häuser zwischen der Kapellenstraße und der Wertach entstanden auf der nördlichen Seite zwischen 1870 und 1895. Nach 1905 wurden die Häuser auch auf der Südseite der Straße vom damaligen Zimmermeister Riederer erbaut, zusammen mit dem Baugeschäft Ernst Mayr. So auch das Haus Augsburger Straße 16, welches um die Jahrhundertwende entstand. Es gehörte der Familie Hirle, wie auch das Haus in der Stillerstraße 14, in dem die geborene Maria Hirle als Witwe des Oberlehrers Fehle eine kleine Gemischtwarenhandlung bis zum Jahre 1961 betrieb. Wer damals als Kind zu ihr zum Einkauf kam, ging meist reicher beschenkt hinaus, als er eingekauft hatte. Das aber nur nebenbei. Jedenfalls wollte Maria Fehle im Haus in der Augsburger Straße 16 mit dem Bäcker Hugo Lang eine Bäckerei mit Cafe um das Jahr 1930 herum eröffnen, welches die alte Bäckersfrau Lang in der Siebnacher Straße 3 vereitelte. 

Anwesen "Rasso" Schmid (Augsburger Straße 16) um 1900

Anwesen „Rasso“ Schmid (Augsburger Straße 16)
um 1900

Sie wollte eben keine Konkurrenz im eigenen Ort. Späterhin veräußerten Hirles das Haus an den Bauern Sirch (Tussenhauser Straße 2); der es seinem Sohne vererben wollte. Als dieser im letzten Weltkrieg

2003

2003

fiel, erhielt es seine Schwester Sophie, die dann den Rasso Schmid heiratete.

Gehen wir über die Wertach weiter, so steht rechter Hand, gegenüber einer Einfahrt zur Papierfabrik eine Tankstelle, die in den frühen sechziger Jahren zusammen mit einer Kfz. -Werkstatt eröffnet wurde (Georg Sontheimer). Sie schloss Anfang des Jahres 2004, weil die gesetzlichen Auflagen finanziell nicht mehr verkraftet werden konnten. Die sich dahinter erstreckenden Häuser der Ostsiedlung entstanden nach und nach vor und nach dem letzten Kriege (1939 – 1945).
Wenn wir jetzt umkehren, so finden wir das Haus Augsburger Straße 12. Hier betrieb eine Frau Riederer ein kleines Gemischtwarengeschäft, welches 1968 die Gärtnerei Helwig für mehrere Jahre als Blumengeschäft mietete. Ein weiteres Haus auf dieser Straßenseite ist die 8. Es gehört dem Malermeister Mayer, dessen Vater 1912 von Dirlewang nach Ettringen zog, um hier das erste Malergeschäft zu gründen. Daneben steht ein Haus, in dem sich bis zum Jahre 1977 ein Schuhgeschäft befand (Augsburger Straße 6). Gegenüber hatte der ehemalige Buchhalter der Papierfabrik nach 1900, sein Haus gebaut. Sein Schwiegersohn errichtete nach dem Kriege hier eine Schlosserei, während seine Tochter ein Schreibwarengeschäft in den südlichen Räumen einrichtete. Im Dorf nannte man sie nur die „Egger Tilly“. Nach ihrem Tode kaufte das Grundstück eine Familie, die es 2001 zu einer Steuerkanzlei, Hebammenpraxis und einem Einrichtungsgeschäft umbaute.
Im nächsten Haus befand sich nach dem Kriege eine Bäckerei und ebenfalls ein Gemischtwarenladen, dessen Besitzer Textilien in den umliegenden Dörfern, von Haus zu Haus gehend,anbot und verkaufte. Der Bäckermeister baute dann 1957 in der Ausburger Straße 2 selbst eine modern eingerichtete Bäckerei, die nach seinem Tode 1970 noch vier Jahre weitergeführt wurde und dann 1974 schloss.

Augsburger Straße von der Papierfabrik aus (um 1900)

Augsburger Straße von der Papierfabrik aus (um 1900)

 

Interessant war bei der Abwasserrohrverlegung in derAusburger Straße der Fund einer Mooreiche mit einer Stammdicke von etwa einem Meter. Sie lag ca. drei Meter unter der Straßendecke schräg zwischen den HäusernAugsburger Straße 3 und 5. Sie muss vor Urzeiten von der Wertach hier angeschwemmt und abgelagert worden sein; denn viele Jahre vorher war schon einmal in der Nähe dieses Gebietes beim Bau eines Hauses eine Mooreiche gefunden worden, wie früher schon erwähnt.

Nachzutragen ist noch, dass in dieser Straße im Haus Nummer 7, nach 1900 erbaut, nach dem Kriege ein Frisör sein Handwerk ausübte. Er baute dann ein eigenes Haus und zog mit seinem Geschäft in die Mühlfeldstraße 7.

Ein großes Ereignis für die Ettringer war der Bau der Eisenbahnstrecke Türkheim – Ettringen. Ermöglicht wurde es durch das Finanzgesetz vom 10. August 1904. Als im November 1908 der erste Zug in Ettringen hielt, war die gesamte Dorfbevölkerung anwesend, manche skeptisch über das Teufelswerk, manche enthusiastisch über den Erfolg moderner Technik. Nach weiteren 

Die "Staudenbahn" kurz nach der Inbetriebnahme des Streckenabschnitts Türkheim - Markt Wald 1912

Die „Staudenbahn“ kurz nach der Inbetriebnahme des Streckenabschnitts Türkheim – Markt Wald 1912

drei Jahren war das Reststück nach Markt Wald fertiggebaut. Stolz zuckelte am 12. Oktober 1911 das Staudenbähnle mit fröhlichen Schulkindern nach Türkheim, und inbrünstig sangen alle auf dem Bahnsteig vor der Abfahrt des Dampfrosses die Bayernhymne. Ab 1.3.2004 übernahm die Betriebsführung dieser Strecke die „Bahnbetriebsgesellschaft Stauden (BBG).

 

Über 700 Personen, viele in Frack und Zylinder bestiegen Monate später zur offiziellen Übergabe am 20.12.1911 um 9.45 Uhr den bereitstehenden Zug mit der festlich bekränzten Lokomotive im Bahnhof Markt Wald um nach Ettringen zu fahren. Die Feierlichkeiten fanden in Markt Wald statt. In allen Wirtshäusern spielte die Musik, die Königshymne wurde gesungen und die Honoratioren stießen ein dreifaches Hoch auf den Prinzregenten aus.

Der Gesamtaufwand für die fertige Strecke zwischen Gessertshausen und Türkheim betrug 1.001.209,41 Mark, eine stolze Summe vor dem ersten Weltkrieg. Die Finanzierung des Bahnbaues war zu einem Teil von den Anliegergemeinden erfolgt. 1910 lagen auf dem Sonderkonto der Königlichen Staatseisenbahn 108.000 Goldmark, wobei die Stadt Augsburg mit 23.000 Mark den größten Anteil trug. Nach der Inflation im Jahre 1924 wurden die bayerischen Bahn- und Postsonderrechte aufgehoben und die Staudenbahn ging in das Eigentum der Deutschen Reichsbahn über.

Der letzte Zug verlässt den Türkheimer Bahnhof in Richtung Ettringen 1987

Der letzte Zug verlässt den Türkheimer Bahnhof in Richtung Ettringen 1987

Weil viel Holz aus den Wäldern des Fuggers auf dieser Bahn zumeist in Schnerzhofen verladen wurde, erhielt sie die treffende Bezeichnung „Holzbahn“, späterhin nannte man sie ironisch den „Staudenexpress“. Besonders angenommen wurde diese idyllische Strecke nach dem letzten Kriege, als die nur auf ihre Lebensmittelkarten angewiesenen Städter aus Augsburg aufs Land ausschwärmten, um bei Verwandten oder Bekannten, die einen Hof oder nur ein Höfle besaßen ihren kärglichen Mittagstisch etwas aufzubessern. Oft besaßen damals die Fenster der Waggons kein Glas mehr und waren nur notdürftig mit leicht durchgeweichter Pappe zugenagelt. Später benutzten besonders die Berufspendler den Zug nach Augsburg oder Türkheim / Buchloe. Mit zunehmender Motorisierung ließ die Auslastung der Strecke immer mehr nach, die bis spät in die sechziger Jahre mit Dampfloks betrieben wurde, denen dann kleinere Dieselloks folgten. Mit stetig niedrigerem Fahrgastaufkommen verkehrte nur noch ein Triebwagen zwischen Türkheim und Markt Wald. Ganz zuletzt durfte der waldreiche Streckenabschnitt zwischen Ettringen und Markt Wald nur noch im Schritttempo mit 10 Stundenkilometern befahren werden, sodass eine Fahrt von Ettringen nach Markt Wald über 20 Minuten dauerte. Die Bahnschwellen waren verfault und brüchig, damit boten sie dem eisernen Schienenstrang keinen Halt mehr.

Sonderfahrt 2001

Sonderfahrt 2001

 Am 24.9.1982 befuhr der letzte Zug die Linie Ettringen – Markt Wald und als am 9.1.1987 gegen 18.30 Uhr der letzte Personenzug den Ettringer Bahnhof Richtung Türkheim verließ intonierte die heimische Blaskapelle, dem bedauerlichen Anlass Rechnung tragend, Trauermärsche für die letzten, zum Teil schwarz gekleideten Fahrgäste. 

Im Jahre 1999 wurde der Bahnübergang in der Augsburger Straße durch einen widerstandsfähigeren Belag wieder aktiviert; denn Anfang 2000 erhielt die Papierfabrik einen eigenen Gleisanschluss. Dieser ist ausgelegt auf eine Gesamtbeförderungskapazität von rund 300.000 to Papier. Zunächst sollten durchschnittlich zehn Waggons eingesetzt werden, die Papier, Rohstoffe, Altpapier und Holz befördern. Es wurden 3,4 Kilometer Gleis verlegt, eineacht Meter lange Brücke über den Mühlbach geschlagen und eine 75 Meter lange Überführung über die Wertach gebaut. Somit wurde der stillgelegte Gleisanschluss Ettringen – Türkheim, der sich noch in gutem Zustand befand, wieder genutzt.

Gleisanschluss zur Papierfabrik

Gleisanschluss zur Papierfabrik

Georg Lang sah klug 1906 die Auswirkungen voraus, die das Beförderungsmittel Eisenbahn mit sich bringen würde und baute im Jahre 1907 die Bahnhofswirtschaft oder Restauration, den heutigen “Gasthof Rauch.” Nach mehreren Renovierungen im Laufe der Zeit wurde im Jahr 2002 rechtwinklig zum Gebäude der Gastwirtschaft an der Grenze zum Nachbarn

Bahnhofsrestauration "Rescht" um1920

Bahnhofsrestauration „Rescht“ um1920

 ein Gästehaus mit einladenden Übernachtungszimmern, einem Wellnessbereich, Tagungsraum und einem Festsaal errichtet.

 Ihm gegenüber in der Hauptstraße 37 hatte Schreinermeister Seitz 1893, von Stockheim kommend, mit der Ausübung seines Handwerks angefangen, bevor er in die Stauferstraße umzog.

In dem Anwesen Hauptstraße 26 war die Wagnerei bereits über 100 Jahre heimisch. Es ist das Vaterhaus der Böcks, die in Ettringen als Wagner und als Baumeister tätig sind und waren. Die Wagnerei wurde die »Stumpe-Wagnerei« genannt, während schräg gegenüber in der Hauptstraße 31 der »Brühlwagner« zu Hause war.

Drei Häuser weiter, an der Sternstraße, Ecke Hauptstraße, steht die Kreissparkasse. Hier befand sich früher ein altes Bauernhaus.

1959 hatte die Kreissparkasse Türkheim in einem Zimmer des Anwesens Hahnenbichlstraße 4 eine kleine und bescheidene Filiale eröffnet. Nachdem der Geldverkehr auch in Ettringen in den guten 60er Jahren florierte, bezog man bereits fünf Jahre später das Haus des ehemaligen Gemeindekassierers in der Hahnenbichlstraße 5. Von hier wechselte die Kasse endgültig in das neuerrichtete Haus in der Hauptstraße. Am 1. August 1970 wurden hier die Schalter für den Publikumsverkehr geöffnet. Im Jahr 1996 gestaltete man den gesamten Schalterraum neu und stellte moderne Automaten für Geld und Kontoauszüge auf.

Da wir uns an der Ecke der Sternstraße befinden, sei auch sie kurz erwähnt. Es wird behauptet, dass in dem Anwesen Sternstraße 6 sich für kurze Zeit eine Brauerei befunden haben soll. Schriftliche Unterlagen darüber habe ich nicht finden können, jedoch ist es mir von verschiedenen Seiten berichtet worden und deshalb sei diese Angabe hier unverbindlich erwähnt.

Gehen wir auf der Hauptstraße weiter zurück bis zur Einmündung der Hahnenbichlstraße,so erblicken wir unter alten Kastanien ein Kreuz, welches bereits viele Jahrezehnte hier steht; denn nicht umsonst hieß die ehemalige gegenüber liegende Schmiede „Kreuzschmiede“.

Anwesen Hermann Blochum (Hauptstraße 18) "Kaiser Franz"

Anwesen Hermann Blochum (Hauptstraße 18)
„Kaiser Franz“

Im Jahr 1991 renovierte man es und weihte es zu Fronleichnam. Leider ist es sehr der Witterung ausgesetzt, sodass 2005 eine abermalige Sanierung notwendig wurde. Gleichzeitig gestaltete man die Einfahrt zur Hahnenbichlstraße neu und schmückte den Umkreis des Holzkreuzes mit bunten Blumen. 

Nach der nächsten Kurve treffen wir auf einen Neubau. Hier stand ehemals ein altes Bauernhaus in der Hauptstraße 20. Es wurde 1993 weggerissen, dafür entstand an seiner Stelle ein zweistöckiges Fliesenlegergeschäft, welches gewerbliche Beläge, Bäder, landwirtschaftliche Nutzbeläge und natürlich alle Arten von Sanierungen und Reparaturen durchführt. Die Eröffnung erfolgte im Jahre 1996.

Das nächste mit Lüftlmalerei kunstvoll gestaltete oberbayerische Haus gehört einem Viehkaufmann, dessen Vater Bruder zum Vater des nächsten Nachbarn war, einem Metzger. Nachdem der Urgroßvater des jetzigen Besitzers kurze Zeit die Gastwirtschaft “Adler” gepachtet und dort auch eine Metzgerei betrieben hatte, kaufte er 1900 das heutige Grundstück. Am Kirchweihmontag desselben Jahres schlachtete dessen Sohn Mathias das erste Tier in der neuerbauten Metzgerei. Bis dahin waren die Fleischerläden stets mit einer Gastwirtschaft gekoppelt, da sie vom Fleisch- und Wurstverkauf allein nicht existieren konnten. 

Hauptstraße 1957

Hauptstraße 1957

Die meisten Dörfler schlachteten selbst und der Fleischverzehr war vielfach das Vorrecht Begüterter. Der kleine Söldner war froh, wenn er sonntags Fleisch auf seinem Teller hatte.

 Vor hundert Jahren gab es, wie gesagt, in Ettringen nur wenige sogenannte rechte Bauern, die Knechte und Mägde beschäftigten und sich um die Arbeit im Stall und Hof nur wenig kümmern mussten. In den meisten Häusern und Hütten nistete klägliche Armut, die einen harten Menschenschlag schuf, der sparsam und fleißig war und der gläubig genug war, nicht an Schicksalsschlägen zu zerbrechen. Es ist nicht übertrieben, wenn der alte Bader Müller berichtete, dass er den Obstgarten des Nachbarn oberhalb des Hauses von Hauptstraße 4 um einen Kronentaler hätte kaufen können, das werden ungefähr 30 Euro gewesen sein. Selbst diese geringe und uns lächerlich erscheinende Summe konnte er nicht aufbringen, eine Tatsache, die für uns heute fast unvorstellbar ist.

Das nächste Haus nach der Metzgerei ist das Anwesen Hauptstraße 10. Hier steht eine Schlosserei, in der früher Schreinermeister Miller gehobelt und gesägt hat. (Er ist für die Ettringer unvergessen durch seine Initiative im Liederkranz. Die Operetten “Der liebe Augustin”, “Die goldene Gans”, “Das Lied der Heimat” oder “Die Mühle im Schwarzwald” kamen mit großem Erfolg zur Aufführung und waren für ein Dorf eine beachtliche und hervorragende Leistung.) Der alte Schlosser Rindle war von Türkheim nach Ettringen gezogen und hatte seine Schlosserei in einem alten Häuschen in der Sommerstraße3 begonnen. 1912 zog er dann in das jetzige Haus, während Schreinermeister Miller ein neues Haus und eine neue Werkstatt in der Sommerstraße errichtete. 

Hauptstraße 1957

Hauptstraße 1957

 Da die Motorisierung allmählich auch auf Ettringen übergriff, zumal eine behäbige, breite Durchgangsstraße das Dorf durchschnitt, eröffnete Rindle 1927 vor dem Gebäude der Hauptstraße 10, eine Gasolin Tankstelle und einen Eisen- und Haushaltswarenladen. Hier handelte es sich um die erste Tankstelle in Ettringen, bei der der Besitzer allerdings noch das Benzin von Hand in den Autotank pumpen musste. Stolz fuhr hier der ehemalige Adlerwirt Staimer vor, um als erster Ettringer Autobesitzer durch das Dorf zu kutschieren, dass die Hühner nur so gackernd zur Seite flogen. Die Tankstelle wurde allerdings bereits in den sechziger Jahren entfernt. Jetzt betreibt sein Enkel weiterhin eine Schlosserei und bietet seit 1998 kunsthandwerkliche Gegenstände zum Verkauf an.

Biegen wir jetzt links in die Stillerstraße ein, das ehemalige “Gässele”. Auf dem Grundstück Nummer 1 stand in früherer Zeit eine Wagnerei, die “Gässele-Wagnerei”. Gehen wir weiter, so erreichen wir das ehemalige Bauernhaus in der Stillerstraße 8. Es wurde vom Großvater des jetzigen Besitzers im Jahre 1971 gekauft, der als Flüchtling nach Ettringen kam und zunächst in der Stauferstraße 10 als Sattler und Polsterer beim Sattlermeister Gast, der bereits im Jahre 1948 starb, arbeitete. Dann mietete er die ehemalige Kegelbahn der jetzt aufgelassenen Gastwirtschaft in der Birkenstraße 3, um dann 1971 in das jetzige Gebäude umzuziehen, in dem sein Sohn ein Raumausstattungsgeschäft eröffnete. Ein weiterer und alteingesessener Sattler und Polsterer wohnte in der Watzmannstraße 12. Er betrieb nebenbei auch eine kleine Landwirtschaft.

Stillerstraße um 1900

Stillerstraße um 1900

  Im Bauernhof Stillerstraße 7 befand sich bis 1902 im jetzigen Schweinestall eine Molkerei. Sie war nur ein Notbehelf, und man käste in der Waschküche. Der Käse wurde dann nach Türkheim gebracht. Diese Situation hatte sich aus folgendem Umstand ergeben: Der Dampf in der Straußschen Molkerei in der Hauptstraße verlöschte öfters die Kreideaufzeichnungen über die angelieferte Milchmenge an der Tafel, so dass sie nicht mehr leserlich war. Einige Milchlieferanten sahen sich infolgedessen benachteiligt und schlossen sich zu einem eigenen Unternehmen eben hier in der Stillerstraße zusammen.

Ettringen war durch seinen Viehreichtum schon früh zur Milchverarbeitung gezwungen, hatte doch 1850 bereits die “Adler”-Wirtschaft mit der Herstellung von Backsteinkäse begonnen.

Im Hause Stillerstraße 16 hatte früher ein Hafner seine Werkstatt. Er fertigte irdene Töpfe und Krüge an, mit denen er über Land ging und sie erkaufte. Eine zweite Hafnerei befand sich in der Hahnenbichlstraße 7.

Ehrung von Frau Fehle anlässlich ihres 75. Geburtstages durch Mitglieder des Liederkranzes (v.l. Alfred Blochum sen., Maria Fehle, Ehepaar Brecheisen,  Thomas Müller)

Ehrung von Frau Fehle anlässlich ihres 75. Geburtstages durch Mitglieder des Liederkranzes (v.l. Alfred Blochum sen., Maria Fehle, Ehepaar Brecheisen, Thomas Müller)

In der Stillerstraße 14 befand sich bereits 1900 ein Laden, den ein Krämer betrieb, wie man ihn zu jener Zeit nannte. Wie schon bereits an anderer Stelle erwähnt gehörte dieser kleinen Laden Maria Fehle. Sie war gebürtige Ettringerin. Da sie sehr gut sang, übernahm sie 1937 die Chorleitung des „Liederkranzes“ und ab 1940 den aufopferungsvollen Dienst als Organistin für über 50 Jahre in der Pfarrkirche. Zeitweise arbeitete sie als Handarbeits- und Klavierlehrerin. Ihr Sohn war Ettringer Bürgermeister von 1972 bis 1996.

 Ein anderes und bedeutend älteres Geschäft befand sich in dem Anwesen Hauptstraße 25, wie schon erwähnt. Der Krämer hieß Kajetan Gastl und war der Vater oder Bruder des damaligen Tavernenwirts; er starb 1803.

Blick vom Kirchturm in Richtung Süden 2001

Blick vom Kirchturm in Richtung Süden 2001

An der Ecke Hauptstraße – Wettenstraße stand der Hof des ehemaligen Posthalters, der 1994 abgebrochen wurde, da der Besitzer in die Siebnacher Straße 36 aussiedelte. An seiner Stelle entstand 1995 gegen den Widerstand vieler Ettringer ein leider architektonisch sehr einfallsloses neues Wohn- und Geschäftshaus mit 12 Wohnungen und einem 750 Quadratmeter großen Einkaufsmarkt, sowie zahlreichen oberirdischen Parkflächen. Auf der Verkaufsfläche werden fast 7000 verschiedene Artikel angeboten. Im Hintergrund seitlich angelehnt steht ein Allianz – Versicherungsgebäude. 

Ein letztes Haus sei noch aufgezählt in der Winterstraße 2. Es stand bis 1880 quer zur Straße in der Höhe des jetzigen Anwesens Winterstraße 4. 

Einheitsskulptur im Einheitspark

Einheitsskulptur im Einheitspark

In jenem Jahre brannte das Haus ab und wurde an der jetzigen Stelle errichtet. 1831 war der Bauernknecht dieses Hofes am Otterbach-Büschl vom Jagdpächter als Wildschütz erschossen worden.
Diesem Hof gegenüber stand in der Winterstraße 1 ein kleines Anwesen; es wurde im Jahre 1976 abgebrochen und vom Elektrogeschäft gekauft. 

Erwähnt sei noch der Platz in der Gabelung Tussenhauser / Welfenstraße, wo jetzt die metallische Skulptur steht, die an die Zusammenlegung der drei schwäbischen Dörfer Ettringen, Siebnach und Traunried im 

Ortsansicht 1957

Ortsansicht 1957

Jahre 1978 erinnert. An dieser Stelle schlugen in früheren Jahren die Zigeuner, von den Dörflern kurz „Waggeler“ genannt, weil ihr zu Hause ein Wagen war, öfters ihr Quartier auf. Sie zogen mit ihren klapprigen Pferdewohnwagen über Land und schickten, sobald sie ihre Zugtiere ausgespannt hatten, die Kinder und die alten Frauen in die Bauernhöfe um Futter für die Rösser zu holen. Die Wagen, die hier nicht Platz fanden, wurden in den Hof des Gasthofs „Adler“ gestellt.

 

In den Jahren 2003/04 wurde die gesamte Ortsdurchfahrt neu gestaltet und mit einer verschleißfesten Teerdecke überzogen. (Türkheimer-, Haupt-, Augsburger- und Tussenhauser Straße). Dabei legte man das „Bächle“ wieder frei, welches in den sechziger Jahren abgedeckt worden war. Neben der Tussenhauser Straße ab Ortsausgang wurde gleichzeitig bis zur Grotte ein Fahrradweg angelegt.
Da im Herbst 2004 gleichzeitig wegen des Baues der Umgehungsstraße die Straße nach Türkheim gesperrt wurde kam es zu leicht chaotischen Verkehrsverhältnissen innerorts, die durch mangelnde Koordinierungsmaßnahmen des Straßenbauamtes Neu-Ulm hervorgerufen worden waren. Die Autofahrer mussten lange Umwege in Kauf nehmen und die Westsiedlung war nur noch für Eingeweihte über zusammengefahrene Feldwege erreichbar. Über dem armen Bürgermeister schlugen die Zorneswogen der Betroffenen, leider teilweise sehr unqualifiziert, mit Vehemenz zusammen.

Gewiss wäre noch mehr zu berichten, was in den einzelnen Straßen und in den unterschiedlichen Häusern im Laufe der Jahrhunderte geschehen ist. Ich habe nur die wichtigsten Dinge herausgepickt, beende jetzt den Rundgang durch die Ortschaft und wende mich im nächsten Kapitel noch einmal den geschichtlichen Ereignissen der reichlich letzten hundert Jahre zu.

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