Wıe’s damals war

Nachdem das Fräulein Philipp, das uns  der 1. Klasse 1947/48 als ABC-Schützen betreut hatte und auch noch in der 2. Klasse unsere Lehrerin war, in den Weihnachtsferien 1948 Ettringen ver-
lassen hatte, trat im Januar 1949 ein junger Mann in unser Schülerleben ein. Jedenfalls trägt der 14. Rechtschreibeintrag vom 12. Jan 1949 das Korrekturzeichen „Sch“ und das Zeugnis der 2. Klasse Schuljahr 48/49 wurde von H. Schroller unterzeichnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herr Schroller war für mehrere Jahre unser Klassenlehrer. Ich jedenfalls verdanke ihm mein schulisches Rüstzeug bis zu meinem Wechsel ans Mindelheimer Maristen-Gymnasium im Herbst 1951.

Was ist aus dieser Zeit noch im Gedächtnis haften geblieben?

Latten schleppen – Strohsack stopfen
Unser „Herr Lehrer“ wurde von uns allen sehr verehrt. Wir kleinen Pimpfe rissen uns darum, wenn es galt, kleine Dienste und Gefälligkeiten zu erweisen. Dazu waren wir auch nachmittags zur
Stelle. Ein Junglehrer damals erhielt bestimmt keine fürstliche Entlohnung und auch die „Dienstwohnung“ im oberen Teil des heutigen ➡ Gemeindeamtes war nicht besonders luxuriös ausgestattet – die Lebensansprüche in den ersten Nachkriegsjahren waren ja auch allgemein bescheiden -. So war es für uns eine Freude und Auszeichnung, wenn wir für die Bequemlichkeit unseres Lehrers sorgen und mit Feuereifer die gehackten Streiflatten aus der ➡ Säge als Wintervorrat auf den Dachboden schleppen oder beim ➡ Kornes im Stadel den Strohsack für die wohlverdiente Nachtruhe neu füllen durften.

Schulspeisung
Aus den ersten Schuljahren ist mir auch noch die tägliche Schulspeisung gut im Gedächtnis, die uns Kriegs- und Nachkriegskindern in den Notzeiten eine tägliche Pausenmahlzeit brachte.

In Reih und Glied, mit Töpfen und Behältern aller Art aus Blech und einem Löffel bewaffnet, wurden wir von unserem Lehrer täglich zur alten Turnhalle geführt, wo im Keller ➡ Herr Sorocean mit einigen Frauen in großen Behältern Reisbrei mit Rosinen, Suppen aller Art und Eintöpfe zubereitet hatte.
Bis jeder seine Portion ausgeteilt bekam, konnten wir nebenbei die ➡ Familie Hellwig beobachten, die dort unten Kränze und Gestecke anfertigte. Während die Breimahlzeiten nicht so beliebt waren, freuten wir uns alle sehr, wenn es Kakao mit Semmeln oder gar eine kleine Schokoladentafel gab.
Dass diese „Fütterung“ für die Lehrkräfte ein besonderes „Vergnügen“ war, kann man sich leicht ausmalen, wenn man sich vorstellt, dass manchmal bei Zusammenstößen auf dem Spielplatz versehentlich – oder bei weniger beliebten „Menüs“ oft auch mit Absicht – Speisen verschüttet wurden, Tränen flossen, Hände und Kleidung klebten, und nicht aufgegessene oder für Geschwister daheim bestimmte Reste auf dem Fenstersims im Klassenzimmer „dufteten“.

Einmal wollte ich auch so ein Täfelchen gepresste Pulverschokolade meinen Schwestern mit nach Hause nehmen und bewahrte sie unter der Schulbank auf. Während der folgenden Schulstunden war die Versuchung jedoch zu groß und ich knabberte immer wieder mal verstohlen an dem aufgerissenen Eckstück. Schließlich kam es, wie es kommen musste: Herr Schroller bemerkte etwas – und ich hatte mein „Fett“ in Form eines scharfen Tadels weg.

Strafen
Zu diesem Thema muss man wissen, dass damals die körperliche Züchtigung noch üblich war. Neben Nachsitzen und Strafaufgaben gab es noch die weniger beliebten „Tatzen“ und „Hosenspanner“.
Ich muss sagen, Herr Schroller hat sich bei letzteren beiden sehr zurückgehalten. Zwar gab es ab und zu schon Tatzen – auch ich habe einmal 3 davon bezogen, allerdings nicht zu heftige
aber dass sich einer für Hosenspanner über die Bank legen musste, daran kann ich mich nur in einem Fall erinnern. Häufiger passierte es da schon, dass Kreidestückchen flogen oder Nachsitzen und Schreiben fällig waren.
Wenn heute meine Schüler manche Wörter 100 x schreiben müssen, dann ist daran vielleicht ein „Schlüsselerlebnis“ schuld. Obwohl ich im Rechtschreiben nicht schlecht war, war ich bei „Gisela“ immer unsicher. Seit ich den Namen 100 x geschrieben habe, bereitet mir seine Schreibung keine Probleme mehr.

Ursula
Obwohl wir in der 2. und 3. Klasse noch recht einfältig waren, wussten wir doch schon, dass es zweierlei Leute gibt. Mancher von uns hatte auch schon einen heimlichen Schwarm. Zur damaligen Zeit verehrte auch unser Lehrer eine Dame.
Anneliese und ich genossen anscheinend sein besonderes Vertrauen, denn wir durften manchmal eine Arbeit unterbrechen und erhielten den ehrenvollen Auftrag, einen Brief zum alten Postschmied in den Hahnenbichl zu befördern.
Die Häufigkeit jener Gänge ließ Rückschlüsse auf die Stärke der Liebesgefühle zu. Wie ein Geheimnis wurde der Name der Adressatin gehütet: Alle Briefe gingen an Ursula Koulessa. Ein besonderes Ereignis war es für uns Schüler, als dann endlich eines Tages der Name mit einer wirklichen leibhaftigen Person in Verbindung gebracht werden konnte. Ursula war zu Besuch gekommen!

Schulalltag
Auch mir ergeht es so, wie es wohl den meisten Schülern geht (was Lehrer und Schulräte nachdenklich stimmen sollte), dass nämlich in der Erinnerung kaum eine glanzvolle Schulstunde lebendig bleibt, sondern ganz andere Dinge sich im Gedächtnis einprägen.
Dass wir wegen Platzmangel einige Zeit im ➡  Gasthaus zur Krone unterrichtet wurden, wo der Schulsaal oben über dem Stall ziemlich einfach, duster und geruchsintensiv war, daran kann ich mich noch schwach erinnern.
Dass da oben aber einem Mitschüler der Gang aufs Klo zu spät einfiel und er deswegen ein „duftendes“ Päckchen auf der Sitzbank hinterließ – was geruchsmäßig nicht stark auffiel, aber doch für Aufregung sorgte – ist mir noch genauso lebhaft in Erinnerung wie unser Gang zur 1. Beichte bei unserem strengen und gefürchteten ➡ Pfarrer Mayer, wo eine Mitschülerin vor lauter Angst das Wasser nicht mehr halten konnte und eine Pfütze in und vor dem Beichtstuhl ihre innere Erschütterung bekundete.

Erwähnenswert wäre in diesem Zusammenhang auch noch die frühere Sitte, dass an den Bittgängen und der Fronleichnamsprozession selbstverständlich die ganze Schule mit Lehrkräften teilnahm.
Zwar musste man bei Bittgängen schon früh aufstehen, es war aber doch schön, wenn man sich mit dem Gegenzug aus Türkheim oder Siebnach einen Gebets- und Liederkampf  liefern konnte – und die Schule fing erst nach der Pause an!
Gemeinsame Wanderungen und Unternehmungen bleiben Schülern halt doch am besten im Gedächtnis. Ich denke da an die Tage, wo anstatt Unterricht die ganze Schule zum Kartoffelkäferklauben auf die Felder vom ➡ Gut Ostettringen gezogen ist.
Die Beute wurde dann bei der Molkerei von der Gemeinde gesichtet, gezählt und mit Pfennigen
(1 Käfer = 1 Pfennig, 10 Larven = 1 Pfennig) entlohnt.

Auch der Gang zum ➡ Sportplatz beim Gut war jedes mal ein Ereignis; aufregend besonders dann, wenn ein scharfer Schuss die Brille des schiedsrichternden Lehrers zerstörte!

Der Heimatkundeunterricht von Herrn Schroller beeindruckte mich besonders dadurch, dass wir im Sandkasten – der Sand war in mühevoller Gemeinschaftsanstrengung am Ostufer der Wertach ausgegraben und zur Schule gekarrt worden – den ganzen Landkreis Mindelheim mit allen Orten, Tälern, Flüssen, Straßen und Bahnlinien aufbauten und kennenlernten.
Bei manchen Autofahrten in die nähere Umgebung profitierte ich heute noch aus dem damals Eingeprägten!
Höhepunkt und Abschluss des Jahres war damals schon eine Fahrt in die Kreisstadt. Wie modern!

Selbstverständlich waren damals auch viele Erkundungsgänge und Wanderungen in die nähere Umgebung, sei es zum Veranschaulichen der km-Strecke auf der Betonstraße Richtung Tussenhausen oder ein ereignisreicher „Waldspaziergang“, dessen aufregender Verlauf der beigefügten Kopie entnommen werden möge.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unvergesslich ist mir auch jene Deutschstunde, bei der wir einen Aufsatz zu verfassen hatten. Unser Alois brachte alle paar Minuten ein unleserlich vollgekritzeltes Blatt ans Pult, das jedesmal nach kurzem Betrachten durch Herrn Schroller in den Papierkorb wanderte. Alois kehrte immer mit dem Auftrag, noch einen Aufsatz zu schreiben, an seinen Platz zurück, was er unverdrossen nach kurzer Zeit auch schon wieder erledigt hatte. Als dann gegen Ende der Arbeitszeit alle Schüler ihre Werke ablieferten, konnte Herr Schroller plötzlich auch den Aufsatz von Alois entziffern: Auf die wiederholte Frage des Lehrers, ob er das Schriftstück auch wirklich selbst verfasst habe, antwortete er stets mit „Ja“ und bekam dafür eine schallende Ohrfeige. Uns verständnislos dasitzende Schüler klärte Herr Schroller über seine Handlungsweise auf: Alois hatte im Eifer des Gefechts (oder weil er nicht lesen, wohl aber abmalen konnte) auf sein eigenes Blatt auch den Namen seines Banknachbarn Egon Tüchler mit abgeschrieben!

Rückblickend betrachtet kann ich sagen, dass die Erinnerung an meine ersten Schuljahre und an Herrn Schroller als Lehrer sehr angenehm und positiv sind. Vielleicht war es auch sein prägendes Vorbild, dass gleich drei Schüler seiner allerersten Ettringer Schulklasse den Lehrerberuf ergriffen haben – was sonst meines Wissens nicht mehr vorgekommen ist.

Besonders bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass mehrere ehemalige Schüler seit Jahren unter seiner „Herrschaft“ an der Ettringer Schule als Sekretärin und als Lehrer(in) tätig sind.

Hartmuth Schmidt